Der 18. März 1990 brachte Brandenburgs Wiedergeburt

08.03.2010 – Beitrag für die „Märkische Allgemeine“

In der DDR wurde das Land Brandenburg beseitigt. Aber es ruhte in den Herzen der Menschen. Wachgerufen hat es das Volkspolizeiorchester Potsdam am 9. Februar 1990. Es spielte das Lied „Märkische Heide“. Viele Menschen sangen den von Irmgard Büchsenschütz verteilten Text mit. Von da an wurde der Rote Adler unaufhaltsam zur Brandenburghymne. Die DDR ging unter, aber die uralte Heimat Brandenburg war wiedererstanden.

Vorausgegangen war der Sieg einer friedlichen Revolution. In der DDR gab es keine Reisefreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Rechtsicherheit, keine freien Wahlen und keine effektive Wirtschaft. Zehntausende wollten das Land verlassen, und als Ungarn am 10. September 1989 seine Westgrenze für DDR-Bürger öffnete, wurde der Flüchtlingsstrom unaufhaltsam. In 250 Städten der DDR demonstrierten Hunderttausende für Veränderungen. Die SED war ratlos, setzte Honecker ab und konnte sich doch nicht entschließen, den Forderungen des Volkes überzeugend nachzukommen. Da nahmen sich die Menschen am 9. November 1989 selbst die Freiheit und praktizierten ihr Selbstbestimmungsrecht. Die Vier Mächte, die noch über beide deutsche Staaten zu entscheiden hatten, begriffen, dass in dieser unübersichtlichen chaotischen gefährlichen Lage nur mit freien Wahlen wieder Stabilität erreichbar war. Selbst dem Politbüro in Moskau war schließlich die friedliche Zusammenarbeit mit dem Westen wichtiger als eine gewaltsame Aufrechterhaltung der DDR.

Der Runde Tisch wurde das politische Organ des Übergangs von der Diktatur zur Freiheit. Dort wurde mit Geduld, gegenseitigem Zuhören und Koordinationsgeschick ein friedlicher Machtwechsel ohne Hass und Rache vorbereitet. Freie Wahlen zur Volkskammer der DDR wurden für den 18. März 1990 vereinbart. Das Ergebnis war eindeutig. Die überwältigende Mehrheit der Menschen sprach sich für die Wiedervereinigung Deutschlands aus. Das war auch eine Entscheidung für die Länderstruktur Deutschlands. So brachte der 18. März 1990 die politische Wiedergeburt Brandenburgs.

Dann begann der Sturzflug der DDR in die deutsche Einheit mit einem totalen Umbruch der Verhältnisse. Die Staatsplanwirtschaft zerbrach. Nun galt der weltweite Wettbewerb. Absatzprobleme der DDR-Produzenten waren die Folge und rasant stieg die Arbeitslosigkeit.

Am 3. Oktober 1990 wurde die deutsche Einheit rechtswirksam und die politische und rechtliche Struktur des bundesdeutschen Systems vollständig übernommen. Die Menschen mussten sich in allen Lebensbereichen umstellen. Jeder Zweite verlor den bisherigen Arbeitsplatz. Der Systemwechsel entwertete das bisherige Leben. Langzeitfolgen wurden die Massenarbeitslosigkeit und das verbreitete Gefühl der Zweitklassigkeit.

Regine Hildebrandt und ich wollten die deutsche Einheit. Wir freuten uns über die wunderbaren neuen Möglichkeiten für die Menschen und die Entwicklung des Landes, aber wir warnten schon im Frühjahr 1990 vor großen sozialen Brüchen. Als dann im Spätherbst des Jahres die erste frei gewählte brandenburgische Landesregierung ihre Arbeit aufnahm, mussten sehr viele Aufgaben gleichzeitig angepackt werden. Meine höchste Priorität war es, den Menschen Arbeit zu ermöglichen, denn ich bin davon überzeugt, dass Arbeit auch das Selbstwertgefühl stärkt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Deshalb mussten die industriellen Kerne erhalten werden, Neuinvestitionen versucht und nicht zuletzt Existenzgründern Unterstützung gegeben werden. Überlebenswichtig war es auch, Lernbereitschaft für die neuen Verhältnisse zu fördern. Denn bisherige Berufe gingen verloren und anderes musste gewagt werden. Wer abwartete hatte oft schon verloren.

Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen in der neuen Gesellschaft mussten erleichtert werden. Demokratie durfte sich nicht auf Wahltermine beschränken. Wichtig war die Volksabstimmung am 14. Juni 1992 über die Verfassung des Landes Brandenburg, eine der besten Verfassungen Deutschlands. Das war eine notwendige Vorgabe für den Rechtsstaat und ihm mussten die Bürger vertrauen können. Recht war eben nicht mehr das Instrument der herrschenden Klasse, aber auch keine Siegerjustiz und keine theoretische Gerechtigkeitsvorstellung.
Alles strafbare Unrecht aus der DDR-Zeit wurde geahndet. Nichts ist offen geblieben. Mir wurde auch kein Opfer der SED-Diktatur bekannt, dem Wiedergutmachung vorenthalten wurde. Aber wir haben uns nicht als Rächer verstanden. Ein Gespräch mit dem Mondo Tutu, dem Vorsitzenden der Versöhnungs- und Wahrheitskommission in Südafrika, hat mich sehr ermutigt, Menschen, die früheres Fehlverhalten offen legten, bereuten und glaubwürdig zur Mitarbeit im Neuaufbau bereit waren, eine zweite Chance zu geben.

Das Machtgefüge der DDR-Diktatur war mir bekannt. Die Fokussierung auf den Staatssicherheitsdienst halte ich für historisch falsch. Die Totaldominanz der Stasidebatte hat eine umfassende Darstellung der DDR-Geschichte erschwert, das offene Gespräch behindert, eine geteilte Erinnerungskultur der ehemaligen DDR-Bürger produziert und Westvorurteile gegenüber den „Ossis“ bestärkt. Vielleicht haben wir jetzt die Chance zu einem zweiten Versuch. Wir brauchen den maßvollen Weg, der Unrecht sühnt, aber auch Neubeginn ermöglicht.

Für den Wiederaufbau Brandenburgs im vereinten Deutschland wollte ich aus der BRD übernehmen, was nötig und hilfreich und aus der DDR erhalten, was sinnvoll war. Keine Vollkopie des Westens und keine Totalzerstörung des bisherigen. Dafür brauchten wir dringend Aufbauhelfer aus westdeutschen Ländern in Verwaltung und Wirtschaft. Besonders dankbar bin ich dem damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau, der uns viele Fachleute vermittelte, darunter solche, die die Probleme großer Strukturumbrüche, wie z. B. des Ruhrgebiets gesteuert hatten. Doch es sollten gleichberechtigt Menschen von hier dabei sein, die Land und Leute kannten. Wir haben versucht, im Rahmen des Grundgesetzes Sinnvolles für Brandenburg zu schaffen. Bekannt wurde unser Ringen um die Polikliniken, die Kindertagesstätten und leistungsfähige Landwirtschaftsbetriebe. Ich hatte die brutale Zwangskollektivierung der Bauern in der DDR erlebt und habe darauf gedrängt, dass sie jetzt frei für oder gegen ihre Arbeit in Großbetrieben entscheiden können. Viele wollten zusammen bleiben. Das habe ich unterstützt und Edwin Zimmermann nannte es stolz den Brandenburger Weg. Der Begriff wurde dann für unsere Art des Wiederaufbaus verallgemeinert. Ich übernahm ihn gern, denn dieses schöne Land zwischen Oder und Elbe und seine Menschen haben über Jahrhunderte eine besondere Prägung, die bleiben wird. Im politischen Streit um die Bildung eines Landes Berlin-Brandenburg wurden wir von Berliner Gegnern des Projektes dazu als kleine DDR beschimpft. Dagegen habe ich mich nicht gewehrt, denn ich bin gegen eine Totalverteufelung der DDR. Sie ist auch Lebensgeschichte der Brandenburger und Teil der deutschen sowie der europäischen Geschichte.

08.03.2010 – In den 20 Jahren neues Brandenburg ist nicht alles gelungen. Besonders schmerzt mich, dass es nicht möglich war, in der Bundespolitik mehr Verständnis für kontinuierliche, umfassende Arbeitsförderungsmaßnahmen zu erreichen. Schließlich war es von Anbeginn an unübersehbar, dass es vielmehr Arbeitswillige als reguläre Arbeitsplätze geben würde. Heute gilt das für ganz Deutschland.

Ich bin glücklich, dass fast alle Brandenburgerinnen und Brandenburger und viele Zugereiste gern in diesem Land leben. Es ist schöner als je zuvor mit geretteten Städten, blühenden Dörfern, schönen Schlössern, menschenfreundlichen Universitäten, den sichersten Autofahrerinnen und fleißigen, ehrlichen Menschen. Brandenburg ist ein Land, das mit Berlin eine ideale Metropolenregion bildet, die in Osteuropa geschätzt wird und eine gute Zukunft haben kann.