Der fromme Kurfürst Friedrich Wilhelms Religionspolitik

Als am 9. Mai 1688 am hellen Tage die Stadttore verriegelt und die Berliner durch ihre Meter hohe Mauer von der Außenwelt abgeschlossen wurden, ahnten viele, dass der Mann gestorben war, der schon zu Lebzeiten „der Große Kurfürst“ genannt wurde. Bei allen unterschiedlichen Wertungen, die sein Wirken erfahren hat, wird seine unerschütterliche Glaubensbindung und ihr unmittelbarer Einfluss auf sein Handeln in allen Bereichen seines Lebens allgemein anerkannt.

Reformierte Toleranz

Friedrich Wilhelms Toleranz wollte keine weltanschauliche Unverbindlichkeit. Er war selbst weltanschaulich fest gebunden. Eine tiefe Frömmigkeit, ein unverrückbares Gottvertrauen und eine feste evangelisch-reformierte Bekenntnisbindung bildeten den bestimmenden Grundzug seines Wesens. Seiner großen politischen Begabung und seinem außerordentlichen Gespür für Möglichkeiten der Machterweiterung setzte er selbst Grenzen, wenn seine Grundüberzeugung
tangiert war. Der Verzicht auf die Bewerbung um die polnische Königskrone, die ihm nachdrücklich angetragen wurde, macht diese innere Bindung deutlich: Die Verlockung war riesengroß. Ein Zusammengehen von Brandenburg und Polen hätte einen erstrangigen europäischen Machtfaktor schaffen können. Die Königskrone konnte die lebenslang erstrebte Unabhängigkeit bringen. Doch der Preis war der Übertritt zum Katholizismus. Andere europäische Herrscher hatten vor und nach ihm weniger Skrupel. Friedrich Wilhelm aber konnte und wollte seine Überzeugung, auch für großen Zugewinn, nicht verraten.

Der Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte in seiner reformierten Bekenntnisbindung eine unverrückbare Position, sie gab ihm aber auch die Freiheit, die Gewissensbindung anderer zu respektieren. In seinem politischen Testament mahnte er die Nachfolger, „die von Gott untergebenen Untertanen ohne Ansehung der Religion als ein rechter Landesvater zu lieben“.

Andere Glaubensrichtungen, die sonst in Europa allgemein verketzert und verfolgt wurden, konnten in Brandenburg mit Duldung rechnen. Die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Vorteile für das Land waren höchst willkommen, aber nur ein zusätzliches Motiv. Der Kurfürst praktizierte seine christliche Grundüberzeugung über Jahrzehnte und formulierte sie zum Ende seines Wirkens unter dem Einfluss des sächsischen Juristen Pufendorf in der  Grundsatzaussage, dass „der Mensch den Menschen zu tragen, zu dulden, ja dem ohne Schuld gebeugten zu helfen verpflichtet ist.“ So hat der Kurfürst Friedrich Wilhelm die Toleranz in Brandenburg zur Staatsdoktrin erhoben.

In der Religionspolitik Friedrich Wilhelms müssen wir zwei Aufgabenfelder unterscheiden: Die Sicherung des Kirchenfriedens zwischen Reformierten und Lutheranern sowie seine Toleranzpolitik gegenüber nichtevangelischen Auffassungen. Der Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten kennzeichnete das religiöse Leben in Berlin und Brandenburg zur Zeit des Großen Kurfürsten. Den Streit der beiden evangelischen Konfessionen kannte Friedrich Wilhelm von klein auf. Großmutter Anna war lutherisch, Großmutter Louise Juliane war reformiert. Den Konfessionsstreit erlebte er schon früh in der Familie und schließlich als dramatischen Kirchenstreit vor allem in Berlin. Strenge Lutheraner hielten das reformierte Bekenntnis für Unglauben. Sie wurden von den konservativen Kräften in der Mark, aber auch in Pommern und Preußen, getragen. Für Friedrich Wilhelm war der Kirchenstreit eine innenpolitische Herausforderung, der er
administrativ begegnete. Er selbst sah die beiden Konfessionen nahe beieinander: Für seine Glaubensbindung war es keine Anfechtung, sich jahrelang um die Heirat mit der schwedischen Königin Christine zu bemühen, obwohl damit der Übertritt zum Lutherischen Bekenntnis verbunden gewesen wäre.

Aber dennoch ist eine Bevorzugung reformierter Geistlicher in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms nicht zu leugnen. Das Studium an der Wittenburger Universität, dem Hort der lutherischen Theologie, wurde 1662 vom Kurfürsten verboten. Immerhin versuchte er, das Gespräch zwischen den Konfessionen in Gang zu bringen. Das Berliner Religionsgespräch 1662/63 brachte zwar trotz der 17 Konferenzen keine entscheidende theologische Annäherung, es zeigte aber doch die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens auf – die freilich noch bis zum Ende des Jahrhunderts auf sich warten lassen sollte. Friedrich Wilhelm konnte eine Religionseinigung der Reformierten und Lutheraner nicht erreichen. Seine Position zum Kirchenstreit beschrieb er im Toleranzedikt von 1664 in der Forderung, das Schmähen anderer Kirchen zu unterlassen und Streitfragen nur aufgrund der geltenden Bekenntnisse und nicht nach Behauptungen zu betreiben. Im Übrigen sollten die Prediger selbst ein beispielhaftes Leben führen und der Zerrüttung der gesellschaftlichen Eintracht wehren. Viele lutherische Theologen empfanden diesen Vorstoß des Kurfürsten als Zumutung, denn was von ihnen als wahr verkündet wurde, sollte nun im Namen der Toleranz eingeschränkt werden. Aber Friedrich Wilhelm beharrte auf dem Edikt: Jeder Geistliche sollte es unterschreiben. Wer dies unterließ, wurde entlassen. Der lutherische Theologe und bedeutende Kirchenlieddichter Paul Gerhardt verweigerte Anfang 1666 seine Unterschrift und verlor nach einigem Hin und Her im folgenden Jahr seine Anstellung. Gerhardt sollte Berlin für immer verlassen, um bis zu seinem Tod 1676 in Lübben tätig zu sein.

Auch gegenüber nichtevangelischen Überzeugungen öffnete sich der Kurfürst. Zur Gewährung der Religionsfreiheit gegenüber Katholiken war Brandenburg durch den Westfälischen Frieden und Abmachungen mit dem polnischen König verpflichtet. Daran hielt sich Friedrich Wilhelm. Doch er ging über seine Verpflichtungen hinaus und duldete auch Religionsgemeinschaften, denen nach dem Westfälischen Frieden das Recht öffentlicher oder privater Religionsausübung verwehrt war. Er duldete Mennoniten, Unitarier und Juden. Er gab ihnen Gleichberechtigung, Rechtssicherheit, duldete ihre private Religionsausübung und ihre nichtöffentlichen gemeinschaftlichen Gottesdienste. In einem Erlass von 1667 versprach der Kurfürst, sogar Araber und Ungläubige zuzulassen, und setzte damit ein Signal für Toleranz und Gewissensfreiheit – aber auch für wirtschaftlichen Pragmatismus. Mit der 1671 erfolgten Aufnahme von aus Österreich vertriebenen Juden setzte Friedrich Wilhelm ebenso wirtschaftliche Impulse wie mit der späteren Aufnahme der Hugenotten.

Religionsfreiheit und Toleranz bringen Wohlstand – das hatte der brandenburgische Kurfürst verstanden und machte es auch in seiner Außenpolitik deutlich. Er intervenierte bei Religionsverfolgungen zum Beispiel in Ungarn, Savoyen und Frankreich und verwies auf seine guten Erfahrungen bei der Duldung anderer Überzeugungen, dass die Gewährung der Religionsfreiheit die Wohlfahrt und die Sicherheit des Staates fördere und die „Liebe der Untertanen durch die Freiheit in Gewissenssachen am meisten gewonnen, vermehret und konservieret“ wird.

Der Landesvater in den Wirren der Zeit

Der Kurfürst war häufig in Kriege verwickelt, aber Kriege waren für ihn nur ein letztes Mittel. Doch die Zeiten waren unruhig. Die politische Lage in Europa war instabil. Ständige Machtkämpfe der Großmächte mit wechselnden Bündnissen bestimmten die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Immer neue Kriege waren die Folge, und der Brandenburger war mit seinem Streubesitz zwischen Maas und Memel regelmäßig davon betroffen. Aus der Ohnmacht unbewaffneter Neutralität im Dreißigjährigen Krieg, die seinem Lande die stärksten Zerstörungen gebracht hatte, zog er die Konsequenz, ein ständiges Heer aufzubauen. Im wechselnden Interessenspiel der Mächte versuchte er, die jeweils richtigen Bündnisse zu schließen, um entweder den Krieg zu vermeiden – und dafür gibt es gute Beispiele in seinem Wirken – oder wenigstens im Krieg den Besitz und die Anwartschaft zu sichern. Manche Zeitgenossen und Historiker warfen ihm zu Unrecht ein „Wechselfieber“ in seiner Bündnispolitik vor. Friedrich Wilhelm muss dagegen bescheinigt werden, dass er vor allem die Interessen seines Staates im Auge hatte, diesen möglichst aus Kämpfen heraushielt und, wo es unvermeidbar war, dann im Wechselreigen der Bündnispartner schneller reagierte als andere. Er konnte im Laufe seiner Regierungsjahre sein Land von der Ohnmacht zur relativen Sicherheit führen und schließlich ein Stabilisierungsfaktor der europäischen Politik werden.

Das Wohl des Landes und seiner Bewohner war Friedrich Wilhelms erstes politisches Anliegen. Die Ausgangslage nach dem großen Dreißigjährigen Krieg war katastrophal. Die Menschenverluste und Zerstörungen waren schlimmer als nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem bestand der Besitz aus völlig unterschiedlichen Landesteilen: Aus Erbschaften und Kriegsfolgen waren nun neben der Mark Brandenburg noch das polnische Lehen Preußen, rheinisch-westfälische Gebiete, das frühere Bistum Magdeburg und Hinterpommern zusammengekommen.

Alle hatten zwar den einen Landesherrn, dem sie mehr oder minder willig gehuldigt hatten, jedoch untereinander betrachteten sie sich als Ausland und waren in den Anfangsjahren freiwillig nicht zur gegenseitigen Unterstützung bereit. Der Kurfürst sah seine Aufgabe darin, dieses Erbe lebensfähig zu machen und zusammenzuführen. Vier wichtige Jahre (1634 bis 1638) hatte Friedrich Wilhelm als Prinz in den Niederlanden verlebt und dort Weltoffenheit, Staats- und Heeresorganisation sowie eine florierende Wirtschaft kennengelernt. Wie armselig dagegen sein Herrschaftsgebiet! Das Kernland Kurbrandenburg hatte nur Sand und Sümpfe, zerstörte Städte und viele wüste Dörfer. Pommernland war abgebrannt. Die übrigen Landesteile waren zwar im Großen Krieg besser weggekommen, fügten sich aber nur widerwillig in ihr Schicksal, unter dem roten Adler zu leben. Mit ungeheurer Tatkraft, im Hauptziel unerschütterlich, in der Durchführung mit großer Flexibilität, ging der Kurfürst daran, aus diesem „halbverlorenen Land“ einen Staat zu schaffen.

Menschen gewann Friedrich Wilhelm vor allem durch seine Toleranzpolitik. Er trat für die Glaubensverfolgten in fremden Ländern ein und nahm sie auf, wenn die Verfolgungen nicht nachließen. Auch vor der Aufnahme der Hugenotten hatte er mehrmals beim französischen König für Toleranz geworben. Mit dem Edikt von Potsdam 1685 lud er sie dann formell ein, seine Landeskinder zu werden. 15 000 französische Protestanten folgten diesem Ruf und verschafften vor allem der Berliner Wirtschaft neue Impulse. Gezielte Anwerbungen wurden in Holland und der Schweiz vorgenommen. Alle ausländischen Neusiedler wurden gefördert.

Menschen gewann der Kurfürst auch durch eine bemerkenswert offensive Informationspolitik, die er ganz gezielt mit den damals neuen Medien, mit Flugblättern und Zeitungen, auch über die Landesgrenzen hinweg einsetzte. Er kannte die Bedeutung der Meinungsbildung und verstand es sehr geschickt, die Gefühle der Menschen anzusprechen. Das trug erheblich zu seinem europäischen Ansehen, aber auch zum Zusammenhalt seiner Landeskinder bei. Auch wenn der brandenburgische Kurfürst selbst gelegentlich versucht war, in die Rechtspflege einzuwirken, so hat er doch insgesamt auf unparteiische Richter geachtet. Unter dem Einfluss des berühmten Philosophen und Rechtsgelehrten Samuel von Pufendorf (1632–1694) sprach er sich für die Rechte jedes Menschen – ob Christ oder Heide – aus und war so mit der Anerkennung allgemeiner Menschenrechte der Zeit weit voraus. Allerdings sah er die Rechte des Menschen immer auch mit seinen Pflichten an der Allgemeinheit verbunden. Friedrich Wilhelm wird vorgeworfen, dass er die Bauern dem Adel ausgeliefert habe, um diesen für den Verlust der politischen Macht abzufinden. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der in diesem Zusammenhang bedeutsame Landtagsabschied von 1653 auch die bestehenden Rechte festschrieb. Der Kurfürst konnte und wollte die Erbuntertänigkeit der Bauern nicht beseitigen. Sie blieben an ihren Wohnsitz gebunden und mussten weiter Frondienste leisten. Doch sie konnten ihre Rechte vor Gericht geltend machen.

Nicht zuletzt hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm die Gabe, gute Mitarbeiter zu gewinnen und Aufgaben zu delegieren. Er wollte keine Ja-Sager, sondern Menschen, deren Talente er neidlos anerkannte. Insgesamt gelang es Friedrich Wilhelm, den Bewohnern seiner unterschiedlichen und verstreuten Landesteile ein gemeinsames Bewusstsein der Zugehörigkeit zu ihrem Staat, den man später Preußen nannte, zu vermitteln. Das Ziel seiner gelungenen Reformpolitik hieß Wirtschaftsbelebung und Wohlstand. Der Weg war oft verschlungen und der Erfolg immer wieder von Kriegen gefährdet. Letztlich waren es die veränderte Finanzverwaltung, eine geschickte Domänenwirtschaft und ein neues Steuersystem, die auf Dauer Stabilität im Inneren schufen und den Menschen zugutekamen.

Wichtigen Anteil an der wirtschaftlichen Stabilisierung hatte die Währungspolitik, die der Kurfürst im Verbund mit dem wohlhabenden Sachsen durchführte. Bedeutende Fortschritte erlebte die Infrastruktur durch Kanalbauten, den Ausbau von Verkehrsverbindungen sowie die Errichtung der damals schnellsten Post in Deutschland. Entscheidende Verbesserungen der medizinischen Versorgung und des Feuerschutzes trugen zum Wohl der Bevölkerung bei.

Eine disziplinierte Staatsverwaltung und eine effektive Polizei führten ebenfalls zum Erstarken Brandenburgs. Dieser Landesvater hat in den fast 50 Jahren seiner Herrschaft das Beste für das ihm anvertraute Land gesucht.

Dieser Aufsatz beruht auf einer Rede, die Dr. Manfred Stolpe zum 300. Todestag des Großen Kurfürsten am 9. Mai 1988 im Berliner Dom gehalten hat.

Veröffentlicht in der Zeitschrift „Berliner Geschichte“