Der Mutmacher aus Potsdam

Was macht eigentlich Manfred Stolpe, langjähriger Ministerpräsident Brandenburgs und ehemaliger Bundesverkehrsminister?

Manfred Stolpe und Johannes Rau

Manfred Stolpe und Johannes Rau

Manfred Stolpe hat das Bundesland Brandenburg geprägt wie kein anderer Politiker in den 24 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung. Der im Jahr 1936 in Stettin geborene Stolpe übernahm am 1. November 1990 das Amt des Ministerpräsidenten in dem damals neu gebildeten Bundesland. Knapp zwölf Jahre fungierte er als Landesvater zwischen Prenzlau und Finsterwalde. Kein leichter Job in einer Zeit, als die regionale Wirtschaft einen brutalen Transformationsprozess durchlaufen musste, der von Firmenpleiten, Massenarbeitslosigkeit und damit einhergehender Perspektivlosigkeit – besonders bei den Menschen in den ländlichen Gebieten, fernab des Berliner Speckgürtels – geprägt war.
Doch Stolpe schaffte es, Aufbruchstimmung, neuen Lebensmut und ein brandenburgisches Selbstwertgefühl zu erzeugen. Als Ministerpräsident war er der oberste Kümmerer im ersten Der Mutmacher aus Potsdam Jahrzehnt nach der deutschen Einheit. Stolpe war überall im Land unterwegs und nahm sich der kleinen und großen Probleme „seiner“ Brandenburger an. Stolpe machte keine leeren Versprechungen, er half, wo es eben ging. Und so gelang es, landesweit insgesamt 47 industrielle Kerne zu sichern und gewachsene Strukturen in der Landwirtschaft zu retten.
Vor gut zwei Jahren, zum 75. Geburtstag von Manfred Stolpe, brachte Amtsnachfolger Matthias Platzeck gemeinsam mit dem damaligen SPD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, Ralf Holzschuher, ein Buch heraus, dessen Titel für die wohl wichtigste Lebensleistung des ersten märkischen Ministerpräsidenten steht: „Der Mutmacher.“ Stolpe gehört zu den wenigen Politikern, die es über die Jahre geschafft haben, auf private Eitelkeiten völlig zu verzichten und die Entwicklung des Landes zur persönlichen Hauptaufgabe zu deklarieren. Legendär ist ein Zitat Stolpes aus den schweren Anfangsjahren: „Nicht Dienst nach Vorschrift, sondern Pioniergeist ist gefragt. Wir wollen nicht wissen, warum es nicht vorwärts geht, sondern wie es trotzdem zu schaffen ist.“
Vermutlich wird auch Stolpe in privaten Stunden gegrübelt und mitunter auch gezweifelt haben – vor allem im Zusammenhang mit der über Jahre ausgetragenen öffentlichen Debatte über seine früheren Kontakte als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche zur DDR-Staatssicherheit. Aber äußerlich ließ er sich nie etwas anmerken. Er strahlte stets Ruhe, Besonnenheit, Souveränität und eine fast preußisch anmutende Bereitschaft zur Pflichterfüllung aus.
So verwunderte es nicht, dass Stolpes politische Karriere auch nach dem selbst gewählten Rückzug vom Amt des Brandenburger Ministerpräsidenten am 26. Juni 2002 nicht zu Ende war. Bundeskanzler Gerhard Schröder berief ihn am 22. Oktober 2002 als Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie als Ostbeauftragten in sein neues Kabinett. Auch in diesen Job kniete er sich mit voller Kraft hinein, ohne Rücksicht auf den eigenen Körper und die angeschlagene Gesundheit zu nehmen.
Als ihn der Krebs im Jahr 2004 das erste Mal ereilte, verschob er eine nachhaltige Behandlung wegen der vielfältigen dienstlichen Aufgaben. Mit dem vorzeitigen Ende der rot-grünen Bundesregierung im Herbst 2005 trat Stolpe einen geordneten Rückzug aus dem aktiven Politgeschäft an. Heute, so sagt er, sei er in der glücklichen Lage, sich aussuchen zu können, was er mache. Bei einem Treffen in einem gemütlichen Restaurant mit Havelblick in Potsdam verrät Stolpe: „Nur still sitzen und über Krankheiten nachzudenken, ist nichts für mich.“ Ein Satz, der nicht lapidar daher gesagt ist. Inzwischen kämpft Stolpe das zehnte Jahr gegen die heimtückische Erkrankung. Auch seine Frau Ingrid ist davon betroffen. Im Jahr 2009 machten sie die Krebserkrankung in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ gemeinsam publik. Der eiserne Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, hat Kraft gekostet. Das sieht man Manfred Stolpe an. Aber er blickt unbeirrt nach vorn: „Ich habe drei Dinge, für die ich mich aktuell engagiere: Erstens kümmere ich mich um die Verbindung zu unseren osteuropäischen
Nachbarn. Zweitens versuche ich, in meiner Funktion als Vorsitzender des Landesdenkmalrates, die gebaute Kultur zu erhalten und zu nutzen. Drittens engagiere ich mich im Aktionsbündnis ‚Tolerantes Brandenburg‘ gegen Intoleranz und Rassismus.“
Speziell das erstgenannte Thema treibt ihn um: „Nach meiner Überzeugung müssen wir mehr Vertrauen zu Russland und Polen aufbauen. Ich arbeite im deutsch-russischen Forum mit und beim Petersburger Dialog. Ich mache mir Sorgen über das unnötig schlechte Verhältnis zu Russland. Wir sind mittel- und langfristig auf eine enge Kooperation angewiesen. Wir sollten daher nicht das Trennende betonen, sondern an die langen gemeinsamen Traditionen unserer Länder anknüpfen.“
Vor einigen Wochen sorgte Manfred Stolpe mit Überlegungen zur Länderehe zwischen Berlin und Brandenburg für bundesweite Aufmerksamkeit. Bei einem Vortrag im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte sagte er: „Brandenburg als Flächenland und Berlin als eine hochverdichtete Metropole ergänzen sich zu einer Region mit vielfältigen Entwicklungspotenzialen. Deshalb ist der Gedanke richtig, dass beide Länder zusammengehen sollten, um Kräfte zu bündeln.“ Einordnend ergänzt er im Gespräch mit W+M: „Die Fusion ist keine aktuelle Aufgabe. Aber wir sollten uns vor Augen halten, dass am Silvestertag 2019 die Sonderfinanzierung für den Osten ausläuft. Ich bin mir sicher, dass schon im Vorfeld Druck von den Geberländern und dem Bund kommen wird, der uns zwingt, über andere Strukturen nachzudenken. Wir sollten darauf vorbereitet sein.“ Manfred Stolpe wird sich auch zu diesem Thema künftig wieder zu Wort melden.

Karsten Hintzmann
Wirtschaft + Markt