Gedenkveranstaltung für Peter Macke am 26. November 2014

Sie haben mich gebeten, heute an dem Tag, an dem Peter Macke 75 Jahre alt geworden wäre, zu seinen Ehren und zu seinem Gedenken zu sprechen.

Ich tue das mit großer Dankbarkeit für das was Peter Macke seit Anfang 1991 in seinen verschiedenen Funktionen – zunächst im Justizministerium, dann als Präsident des Verfassungsgerichts sowie des Oberlandesgerichts für den Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz in Brandenburg geleistet hat.

Besonders freue ich mich, dass ich das in Ihrer Anwesenheit, verehrte Frau Macke, und in der Anwesenheit seiner und ihrer Kinder und Enkel tun kann.

Das Land Brandenburg, seine Bevölkerung, das Verfassungsgericht und die ordentliche Gerichtsbarkeit schulden Peter Macke großen Dank sowohl für eine beispielhafte Mitwirkung an der Aufbauleistung wie auch für Prägungen in Justiz und Rechtsprechung, die fortwirken. Es ist mir auch eine große Ehre, heute hier zu Ihnen sprechen zu können. Das Amt, das ich als Ministerpräsident des Landes Brandenburg bis zum Jahre 2002 inne hatte, hat mich immer wieder mit den Problemen des Neuaufbaus der staatlichen Institutionen, darunter auch der für unser Staatswesen zentralen Institution Justiz konfrontiert. Das hat zu vielen Begegnungen mit Präsident Macke geführt. Ich habe ihn als Menschen, in seiner fachlichen Kompetenz, aber auch und nicht zuletzt wegen seiner warmherzigen klugen Art überaus geschätzt.

Peter Macke hat sich um das Land Brandenburg als Ganzes überaus große Verdienste erworben!

Wir erinnern uns in diesem Monat an den Fall der Mauer vor 25 Jahren, den Höhepunkt der friedlichen Revolution in der DDR. Am 9. November 1989 stürmte das Volk die Mauer und nahm sein Selbstbestimmungsrecht wahr. Der Mauerfall symbolisiert den Übergang von der Wende in der DDR zur Forderung nach der deutschen Wiedervereinigung.

Nach all den großen Demonstrationen gegen die SED-Diktatur für Reise- und Meinungsfreiheit, für unabhängige Gerichtsbarkeit, für Demokratie und eine effektive Wirtschaft, nach diesen Massenprotesten im Herbst 1989 kommentierten die Diplomaten der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion: „Nun wird die DDR anders, aber sie bleibt bestehen, auch als Teil des Ostblocks“. Ab dem 9. November bewegte sie die Sorge vor Chaos, Bürgerkrieg und dem Ende der begonnenen Ost-West-Zusammenarbeit. Wie kann die Lage beruhigt werden? Was will das Volk? Die Antwort hieß: So schnell wie möglich freie Wahlen. Alle vier Mächte, die die deutsche Souveränität wahrnahmen, stimmten zu. Am 18. März 1990 entschied sich die große Mehrheit der DDR-Bevölkerung für eine schnelle Wiedervereinigung.

An dieser demokratischen Entscheidung des Volkes kam niemand vorbei. Gegen einige Vorbehalte aus Großbritannien und Frankreich brachte dann das eindeutige Votum der polnischen Regierung Masowiecki für die Wiedervereinigung den Durchbruch. Die DDR konnte am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland beitreten. Es wurde ein Sturzflug in die deutsche Einheit, bei dem Probleme und Unterschiede nicht voll erkannt wurden und in der Kürze der Zeit nicht lösbar waren. Es wurde auf Sicht gefahren, was insbesondere beim Übergang von der staatlichen Planwirtschaft zur Wettbewerbswirtschaft dramatische Folgen für den Bestand von Unternehmen und Arbeitsplätzen hatte. Die Neuordnung der politischen Strukturen brachte die Wiedergeburt der 1952 beseitigten Länder; auch des tabuisierten und weithin vergessenen Landes Brandenburg.

Eine zentrale Aufgabe dabei war für uns die Wiederherstellung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit für eine Bevölkerung, die Justiz als Instrument der herrschenden SED erlebt hatte. Heute sind die schweren rechtsstaatlichen Mängel des DDR-Justizsystems beinahe vergessen. Das Funktionieren des Rechtsstaates mit unabhängigen Gerichten ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Menschen haben es bewusst gar nicht anders erlebt oder sie haben vergessen, wie es einmal war. Das ist der beste Beweis dafür, dass etwas überaus Schwieriges gelungen ist.

Für einen gefestigten Rechtsstaat ist das verlässliche Funktionieren der Justiz – mit gleichen Rechten für Jedermann und ohne Privilegien für Einzelne, Gruppen, Parteien – ein Wesensmerkmal. Anders als in der DDR ist die Justiz heute vom System her in Ordnung. Sie tanzt nach niemandes Pfeife mehr und es kommt auch nicht wieder vor, dass die Politik den Richtern Entscheidungen diktiert oder Staatsanwälten vorschreibt, wann und wo sie Ermittlungen einleiten sollen.

Es ist inzwischen ein allgemeines Vertrauen entstanden, dass die Justiz wirklich unabhängig geworden ist. Dass darüber nicht mehr jeden Tag Reden gehalten werden müssen, dass das Funktionieren der Justiz für eine Selbstverständlichkeit gehalten wird, ist der Beleg dafür, dass der Neuaufbau der Justiz gelungen ist. An einem Tag, der dem Gedanken an eine Person gilt, die daran entscheidenden Anteil hatte, muss das mit Deutlichkeit gesagt werden und mit Dank für den persönlichen Beitrag, den Peter Macke dazu geleistet hat.

Der Prozess der Richter- und Staatsanwaltsüberprüfungen ging nicht in allen Ländern, die im Osten Europas den Umbruch zu Demokratie und Rechtsstaat geschafft haben, so relativ glatt wie hier zu Lande. Ich will in diesem Zusammenhang einen Punkt ansprechen, der damit zu tun hat und auch in einem unmittelbaren Bezug zu der Leistung von Peter Macke steht. Ich meine die im Vergleich mit anderen Transformationsländern ungleich günstigere Ausgangslage der so genannten neuen Bundesländer. Wir haben eine unschätzbare Hilfe beim Aufbau des Rechtsstaates durch Politiker, Beamte, Richter und Staatsanwälte aus den so genannten alten Bundesländern und aus der Bundesregierung bekommen.

Das hat dazu geführt, dass bei uns durch die Hilfe erfahrener Justizleute aus dem Westen es nicht zu einem Stillstand der Rechtspflege gekommen ist. Die Übergangsprobleme oder Anfangsfehler will ich nicht kleinreden. Ich denke an die allgemeine Personalnot, an den Zustand der Grundbücher, an den großen Bedarf an Rechtspflegern oder an die desolate Unterbringungs- und Ausstattungssituation. Es hat auch vereinzelt einige wenige nicht hilfreiche Unterstützer gegeben. Aber es muss gesagt werden, dass wir durch die Hilfe aus den alten Bundesländern gerade in der Justiz eine unvergleichlich bessere Ausgangssituation hatten als unsere östlichen Nachbarländer. Dem verdanken wir das relativ rasche Entstehen eines neuen Grundvertrauens in die Justiz ohne das ein demokratischer Rechtsstaat nicht gedeihen kann. Dieses Vertrauen ist kein selbstverständlicher, ein für allemal unangefochtener Dauerbesitz. Dieses Vertrauen muss in der gerichtlichen Praxis Tag für Tag neu erworben und gefestigt werden.

Peter Macke hat an der Schaffung der Bedingungen für den Rechtsstaat einen hervorragenden Anteil. Das Justizministerium stand zugleich vor der immensen Aufgabe, den Neuaufbau der Justiz organisatorisch und personell auf den rechtsstaatlichen Weg zu bringen. Es war ein Glücksfall, dass es damals gelungen ist, Peter Macke für diesen Neuaufbau zu gewinnen. Sein Herkommen aus der nordrhein-westfälischen Justiz und seine Leistungen dort, die legislatorischen und administrativen Erfahrungen, die er im Bundesjustizministerium sammeln konnte und schließlich seine jahrelange erfolgreiche Tätigkeit als Bundesrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe haben ihn bestens für die Aufgaben in Brandenburg qualifiziert.

Auch für diejenigen, die ihn noch nicht kannten, also auch für mich, war es folgerichtig, ihm innerhalb des Justizministeriums und unter der politischen Verantwortung von Minister Hans-Otto Bräutigam nicht nur die organisatorische Planung für die Gründung des Oberlandesgerichts Brandenburg, die Einrichtung der Landgerichtsbezirke und die Reduzierung der Zahl der erstinstanzlichen Gerichte anzuvertrauen, sondern ihn dann als Oberlandesgerichtspräsident für die Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorzuschlagen. Es war für die Landesregierung und das Parlament keine Frage, dass er der Gründungspräsident des Landesverfassungsgerichts werden sollte, das seine Tätigkeit noch etwas früher aufgenommen hat als das Oberlandesgericht.

Als Repräsentant der Exekutive und ehemaliger Ministerpräsident ist man gut beraten, sich bei der Würdigung von Inhalten der Rechtsprechung zurückzuhalten. Das gebieten sowohl das Gewaltentrennungsprinzip wie der Respekt vor der Unabhängigkeit der Gerichte und das gilt insbesondere dann, wenn die Exekutive, wie in Verfassungsrechtsstreitigkeiten häufig selber Verfahrensbeteiligter ist.

Aber ich denke ich überschreite diese Grenze nicht, wenn ich sage, dass das brandenburgische Verfassungsgericht sich im Konzert der Verfassungsgerichte in Bund und Ländern eine überall anerkannte Stimme erarbeitet hat und dass die ordentliche Gerichtsbarkeit bei ihrer Arbeit längst mit den Leistungen der Justiz in anderen Ländern, auch in alten Bundesländern konkurrieren kann.

Dieses Ergebnis wäre nicht erreicht worden ohne die anfängliche Mithilfe unserer Partnerländer, insbesondere Nordrhein-Westfalens und ohne die Mitwirkung erfahrener Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger von dort. Peter Macke gehört dazu.

Aber mit Stolz und Selbstbewusstsein können wir heute für uns in Anspruch nehmen, dass Rang und Ansehen der Brandenburger  Gerichtsbarkeit inzwischen eine eigene Marke darstellen und kein „Fremdprodukt“ ist.  Ohne die Mitwirkung der Vielen, deren engagierte Mitarbeit notwendig war, schmälern zu wollen, gibt es Anlass, den Präsidenten der beiden Gerichte besondere Anerkennung zu zollen. Nicht nur weil er die formale Spitze der Institutionen darstellte, sondern auch wegen des herausragenden inhaltlichen Beitrags, den Peter Macke geleistet hat.

Ich nenne seine juristische Kompetenz, seine menschlichen Qualitäten und seine sich nie schonende Hingabe an die Sache. Er war eine wirklich beispielgebende Richterpersönlichkeit. Dabei will ich auch unterstreichen – das charakterisiert seine dem neuen Wirkungskreis zugewandte Haltung besonders – dass er mit voller Zustimmung des Justizministeriums von allem Anfang an größten Wert darauf gelegt hat, bewährte und unbelastete Richter aus der früheren DDR-Gerichtsbarkeit, Juristen aus der DDR, die nun erstmals Richter wurden, und junge Richter aus dem Lande so zu fördern, dass das anfänglich unumgängliche Übergewicht von Westrichtern immer mehr zurückgetreten ist. In überschaubarer Zeit wird von solchem Übergewicht nichts mehr zu merken sein.

Peter Macke, im Rheinland groß geworden und ganz im Westen Deutschlands sozialisiert, war Brandenburg eng verbunden. Jeder konnte das an seiner Zuwendung zu den Menschen oder an seiner Liebe für das Havelland ermessen. Diese Zuwendung hat die Herzen der Märker immer erreicht, hat das Vertrauen in die neue Justiz gestärkt. Getragen war das von seinem sehr bewussten Leben in der brandenburgisch-preußischen Geschichte. Er kannte die Geschichte des Brandenburger Schöppenstuhls. Er hat Friedrich den Großen nicht nur wegen des Allgemeinen Preußischen Landrechts bewundert. Das hat ihn durchaus nicht davon abgehalten, dessen noch vom Absolutismus geprägten Verhalten gegenüber Richtern – das Kassieren von Urteilen gehörte dazu – kritisch zu kommentieren. Es war mir Vergnügen und Gewinn, mit ihm darüber zu sprechen.

Als besonderes Beispiel für eine unbeugsam dem Recht und der Gerechtigkeit verpflichtete mutige Haltung galt ihm der Amtsrichter Lothar Kreyssig aus Brandenburg an der Havel, der sich mit einem Protest an das Reichsjustizministerium und mit Anzeigen gegen den Hauptverantwortlichen der Euthanasie-Aktion – als einer der ganz wenigen vielleicht sogar als einziger Richter offen unter Inkaufnahme persönlicher und beruflicher Nachteile gegen die Euthanasie-Morde der Nazis gestellt hatte. Lothar Kreyssig hat nach der Befreiung vom Nazisystem die Aktion Sühnezeichen gegründet, die nach wie vor internationale Friedensarbeit leistet.

Die Stadt Brandenburg an der Havel war für Peter Macke immer mehr als nur der Sitz seines Oberlandesgerichts. Das Wissen um die Vergangenheit, das Vertrauen in das Grundgesetz, die Hoffnung auf ein Lernen aus der Geschichte und seine tiefe Freude über die Wiedervereinigung haben ihn befähigt, bedeutende Reden zum Jahrestag der staatlichen Vereinigung zu halten.

Seine Familie hat den 3. Oktober sehr bewusst als den Tag seiner Beerdigung gewählt. Hervorheben will ich, dass Peter Macke ein überaus genauer und aufmerksamer Wächter über die Unabhängigkeit der einzelnen Richter und der Justiz als Institution gewesen ist. Seine berechtigte Sorge galt ebenso auch der Respektierung des besonderen Ranges der Justiz im Institutionengefüge des Rechtsstaats. Wesentlich ernster war allerdings, dass die Stellung des Verfassungsgerichts als eines besonderen Verfassungsorgans von seinem ersten Präsidenten erst gegen gewisse Widerstände innerhalb der Exekutive gesichert und gegenüber dem Parlament plausibel gemacht werden konnte.

Präsident Macke hat die Erfolge seines Wirkens, was die Errichtung des Landesverfassungsgerichts und dessen Agieren im Zusammenspiel der Staatsgewalt anbelangt, in den ersten Jahren nach seinem Eintritt in den Ruhestand noch beobachten können.

Seine schwere Erkrankung hat ihn aber in den allerletzten Jahren leider immer mehr von dem entfernt, was der Inhalt seines Lebens als Jurist und Richter gewesen ist. Er hat, auch wenn er wusste, dass die Grundlagen gut gelegt und die Fundamente fest gefügt waren, zuletzt nicht mehr voll mit erlebt, welche Stabilität und welche Anerkennung die von ihm so entscheidend mitgeprägten Institutionen im Land und auch über das Land hinaus gewonnen haben.

Lassen Sie mich schließen mit einer Würdigung der Aufbauleistung der Justiz und ihrer Arbeit heute. Sie beeindruckt mich und muss jeden beeindrucken, der sich die Startbedingungen der frühen 90er Jahre vergegenwärtigt. Justizgewähr gehört zu den Kernaufgaben des Staates und bedarf dringend gesicherter ausreichender personeller und sachlicher Ressourcen.

Und noch eine Bitte von mir: Lassen Sie uns gemeinsam den Gefährdungen unserer rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung durch Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt widerstehen!

Peter Macke wäre gewiss an unserer Seite.