Immobilenmarkt für Senioren

Dr. Manfred Stolpe über den Immobilenmarkt für Senioren: „Es muss schnell gehen jetzt, denn der Bedarf steht vor der Tür!“

Man kennt ihn als „Der Mutmacher“, der Menschen hilft und zuspricht. Dabei kann Dr. Manfred Stolpe (76) Hoffnung und Zuversicht seit ein paar Jahren auch selbst mehr als brauchen: Nicht zuletzt wegen seiner schweren Erkrankung, die genauso seine Frau Ingrid traf, lebt das Ehepaar seit 14 Monaten im Potsdamer Johanniter-Quartier – in Form von „Betreutem Wohnen light“, wie der Politiker es nennt. Dabei hat der frühere Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bei dieser Entscheidung sehr genau auf Strukturen und Ausstattung der malerisch an der Havel gelegenen Immobilie geachtet. Wie er als Fachmann klare Vorstellungen von notwendigen Entwicklungen auf dem Bau- und Wohnungsmarkt hat, insbesondere für mehr und vielfältigere Senioren-Angebote.

Geboren in Stettin, absolvierte Dr. Manfred Stolpe nach dem Abitur in Greifswald bis 1959 ein Studium der Rechtswissenschaften in Jena. Anschließend war er zehn Jahre u.a. bei der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg tätig, danach bis 1981 Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Von 1982 bis 1989 fungierte er u.a. als Stellvertretender Vorsitzender dieses Bundes. Nach der Wende machte er sich ab 1990 als Ministerpräsident des Landes Brandenburg einen Namen, bevor er von 2002 bis 2005 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wirkte.
So trägt beispielsweise der in seiner Amtszeit verabschiedete Bundesverkehrswegeplan 2003 für den Zeitraum 2001 bis 2015 seine Handschrift und ist von der EU-Erweiterung 2004 geprägt: Erstmals rückte die Entwicklung von Ost-West-Verkehrsachsen bzw. -Magistralen nach Tschechien und Polen in den Fokus der Planungen. Denn dass die Deutschen in Osteuropa Vertrauen schaffen, zählt zu den vielen Interessen, die Dr. Stolpe nach wie vor verfolgt.

Im CareTRIALOG-Interview berichtet der bekannte Politiker über seine Engagements, aber auch über seinen heutigen Alltag, das Leben im Potsdamer Johanniter-Quartier und seine umfangreichen Erfahrungen mit dem Pflegeberuf.

Herr Dr. Stolpe, wie sehen Sie als früherer Bundesminister die heutige Situation im Bau- und Wohnungswesen: Gibt es genug Wohnangebote für Senioren und Pflegebedürftige?
Nein, noch nicht genug. Zum Glück wächst die Bedeutung des Themas, es wird aber noch mehr geredet als tatsächlich getan. Zumal dieser Markt kein schneller ist, Pläne und Umsetzung dauern. Aber es muss schnell gehen jetzt, denn der Bedarf steht vor der Tür!
Barrierefreiheit und technische Assistenzsysteme sind zwei „Zauberworte“, wenn es um Lebensqualität in den eigenen vier Wänden geht.

Aber hat der Immobilienmarkt das schon begriffen?
Beides ist außerordentlich wichtig, sowohl für ältere Menschen, die daheim leben möchten, als auch für diejenigen im Betreuten Wohnen. Die Grunderkenntnis für Barrierefreiheit ist da, muss aber noch mehr durchgesetzt werden. Und zwar grundsätzlich, auch im öffentlichen Raum und im Verkehr.
Der Immobilienmarkt sieht das schon, aber mein Eindruck ist, dass diese Punkte noch nicht als aktuell betrachtet werden – weil sich damit kein Profit machen lässt. Das könnte dazu führen, dass der Zeitpunkt zum Handeln verpasst wird. Natürlich hängt diese Entwicklung auch von den Meldungen der Kunden ab, sie müssen ihre Bedürfnisse schon deutlich formulieren. Man weiß, dass Bedarf da ist, doch diejenigen, die es betrifft, reagieren bislang noch verhalten. Man muss den Älteren sagen: Denkt daran, euch jetzt zu melden, damit der Markt sich darauf einstellen kann.

Was würden Sie als Politiker heute eher fördern – den Bau gut ausgestatteter Heimeinrichtungen oder das Generationen-Konzept „Leben im Quartier“, das ältere Menschen länger in ihrer vertrauten Umgebung unterstützen soll?
Es ist auf jeden Fall gescheit, an beide Formen zu denken. Bei Heimeinrichtungen muss man bedenken, dass sie gut ausgestattet sind und die verschiedensten Varianten anbieten – bis hin beispielsweise zum Betreuten Wohnen, das genau so ernst genommen werden muss. Und: Bezahlbar muss es sein, ob für den privaten Geldbeutel oder für die Versicherungen. Quartiere halte ich für eine sehr humane Möglichkeit. Das haben wir hier in Potsdam auch gefördert, es ist gut, wenn man mit der Umgebung vertraut ist, denn diese Vertrautheit kann sogar einer Lebensverlängerung dienen. Allerdings – die Praxis ist immer noch, eher Heime zu bauen.
Die günstigsten Einrichtungen sind für mich die, die eine Selbständigkeit erhalten und gleichzeitig Pflegemöglichkeiten bieten. Was allerdings bedeutet, dass man sich um solche Unterbringungen früh kümmern muss. Wenn es gesundheitlich erst einmal zu spät ist, hat man keine Entscheidungsfreiheit mehr…

Für welche Wohn-Variante haben Sie persönlich sich entschieden?
Meine Frau und ich leben im Bereich des „Service Wohnens“ – das ist so etwas wie „Betreutes Wohnen light“. Das heißt: Wir sind absolut selbstbestimmt, profitieren aber von Dienstleistungen, zu denen zum Beispiel ein Concierge zählt. Dieses Haus legt auch Wert darauf, das wir hier frei leben können, das ist Teil des Konzepts. Theoretisch wäre jedoch Pflege zusätzlich möglich.

War es für Sie und Ihre Frau schwierig, das Eigenheim zu verlassen?
Wir hatten mittelfristig sowieso überlegt, dass unser Haus einmal für die Kinder und Enkel da sein soll. Bevor wir hier vor 14 Monaten einzogen, hatten wir daher zwei, drei Jahre schon nach einer Alternative Ausschau gehalten. Man muss auch bedenken, dass ich ein Tumorleiden habe, da ist es besser in einem Hafen zu ankern, in dem man versorgt wird. So passte es hervorragend, dass das Johanniter-Quartier an der Havel vor anderthalb Jahren ganz neu gebaut wurde.

Das heißt, Sie können nach wie vor Ihr altes Zuhause besuchen?
Ja, jetzt lebt die Familie dort, mit zwei Enkeln – da werden wir sogar richtig gebraucht…

Welches erste Fazit können Sie heute ziehen, war es richtig, diesen Schritt zu gehen?
Absolut, das war die richtige Entscheidung. Ich würde allen sagen, so im Alter ab Mitte 70 sollte man konkret planen und alles vorbereiten, damit so ein Umzug nicht zu einer Katastrophe wird. Wir wohnten zuvor auf mehr als 200 Quadratmetern, jetzt sind es nur noch knapp hundert, das bedeutet Einschränkungen und will vorher genau überlegt sein.

Wie haben Sie das organisiert?
Man muss sich trennen können! Was mir schon schwer fiel, gerade bei den Büchern. Ich habe dann ein gutes Antiquariat gefunden, wir haben beim Mobiliar viel ausgedünnt und innerhalb der Familie verschenkt. Außerdem hatten wir eine gute Umzugsfirma, die nicht nur alles ein-, sondern auch wieder auspackte.

Wie muss man sich Ihren Alltag in diesem Wohnpark vorstellen, was gestalten Sie autark, wo hingegen haben Sie Unterstützung?
Einigen Service nehmen wir gern in Anspruch. Der Concierge zum Beispiel regelt u.a. die Logistik, etwa, durch das Annehmen der Post oder durch die Termin-Vermittlung. Außerdem gibt es eine Bibliothek, ein Schwimmbad und draußen am Haus einen großen Park. Wir kochen zwar selbst, oft am Wochenende auch schon mal vorbereitend für die folgenden Tage, doch das Restaurant nutzen wir gern für Verabredungen.

Gibt es vor Ort auch technische Assistenzsysteme, die Sie nutzen?
Es gibt Hilfseinrichtungen im Bad, darunter einen Zugtaster fürs Licht, und der Herd schaltet sich im Zweifelsfall automatisch aus. Eine Brandmeldeanlage ist installiert, die allerdings sehr sensibel ist… Und über den Hausnotruf kann man rund um die Uhr Hilfe rufen, dann kommt binnen Minuten der Unfalldienst. Das haben wir schon mehrfach miterlebt, das ist beruhigend zu wissen, wie gut das funktioniert. Theoretisch könnten wir auch Smartphones für Fernsteuerungen nutzen.

Sie sind gleichermaßen sozial engagiert – etwa im Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein für diakonische Zwecke – wie Sie selbst soziale
Hilfeleistungen erfahren. Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine „gute“ Pflege aus?
Da kann ich ja schon auf jahrzehntelange Erfahrungen zurückgreifen, denn früher, als DDR-Kirchen-Rechtler, war ich für Pflegeeinrichtungen zuständig. Für mich lautet das Kernstück: Zuwendung! Denn Pflege ist keine technische Geschichte. Doch je knapper das Angebot an Fachkräften ist und wird, umso weniger Zeit steht für dieses elementare Bedürfnis zur Verfügung.

Wie kann bei diesem Mangel Abhilfe geschaffen werden?
Wir müssen genug Pflegende ausbilden. Aber auch Ehrenamtliche leisten einen wichtigen Beitrag, etwa mit Gesprächen oder indem sie manchmal nur die Hand halten. Das erleben wir hier im Haus auch, und das ist eine gute Entwicklung. Gerade den Älteren sollte man zureden, solche Aufgaben zu übernehmen, also Kontakt zu Einrichtungen aufzunehmen. Die kirchlichen Einrichtungen werben für solche ehrenamtlichen Tätigkeiten auch hier in der Gemeinde. Wobei: als Ergänzung, nicht, um Stellen zu streichen! Die Pflegekräfte haben nun einmal wenig Zeit, sie können sich nicht ewig aufhalten. Doch wenn sie gegangen sind, bleibt immer ein Mensch zurück, der Nähe und Zuspruch braucht.

Der Beruf der Pflegenden steht mehr denn je vor immensen Herausforderungen und Anstrengungen, Sie haben dazu bereits viele Erkenntnisse sammeln können. Welche Unterstützung bräuchte diese Branche jetzt, ob politisch oder gesellschaftlich?
Da spielt zunächst die Bezahlung eine Rolle. Dieser Beruf wird ja überwiegend von Frauen ausgeübt, und die werden unterdrückt und finanziell schlechter gestellt – das macht diesen Job „zweitklassig“. Deshalb müssen wir Menschen gewinnen, die gleich behandelt werden mit den Medizin-Berufen, die auch gleich bezahlt werden. Dazu kommt, dass junge Leute meist von einem hochmodernen Beruf träumen, das heißt, es wird für die Pflege gezielter geworben werden müssen. Und zwar so: Einen Pflege-Beruf kann man lange Jahre ausüben, die Besetzung dieser Jobs ist gefragter denn je. Wenn dann noch die Bezahlung irgendwann stimmt…

Vor drei Jahren haben Sie mit „Wir haben noch so viel vor“ ein beeindruckendes, sehr persönliches Buch über die familiären Krebserkrankungen vorgelegt. Ist die Frage gestattet, wie es Ihnen und Ihrer Frau geht?
Es gibt immer wieder neue Herausforderungen. Ich habe den Kampf noch nicht gewonnen, trotzdem ist meine Stimmung gut – auch wenn die Ärzte das nicht so sehen. Bei meiner Frau sind fünf Jahre seit dem Tumor vergangen, wir hoffen, dass sie es durchgestanden hat.

Die Festschrift zu Ihrem 75. Geburtstag trug den Titel „Der Mutmacher“. Woraus resultiert die Kraft, trotz eigener Schicksalsschläge anderen Menschen zuzusprechen?
Vielleicht bin ich begünstigt. Von meiner Mutter bekam ich einen Kinderglauben „eingepflanzt“, deshalb habe ich so etwas wie „Gottvertrauen“. Von meinem Naturell her habe ich auch eine gewisse Grundgelassenheit. Und ebenso Menschenfreundlichkeit, ich traue Menschen eher Gutes als Böses zu.

Sie nehmen nach wie vor viele Termine und öffentliche Auftritte wahr. Welches sind Ihre nächsten Pläne?
Durch meine verschiedenen Berufsfelder habe ich auch heute mehrere Aufgaben. Zum einen lege ich sehr viel Wert darauf, dass wir Deutsche in Osteuropa Vertrauen schaffen. Ich finde, daran muss man sich beteiligen: Die Menschen dort haben unter uns gelitten, man muss ihnen zeigen, dass wir Partner sind. Zum anderen kümmere ich mich darum, die gebaute Kultur zu erhalten, ob das Kirchen sind, Schlösser, Herrenhäuser oder Altstadtkerne.
Und drittens habe ich über Jahre unterschiedliche Lebenssituationen kennen gelernt, ich gehe deshalb in Schulklassen und berichte aus meinen Erfahrungen, warne vor Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, vor rechten Einflüssen. Die Aktion „Tolerantes Brandenburg“, die von der Landesregierung ausgeht, ist mir sehr wichtig. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass junge Leute sich freuen, wenn ältere Zeitzeugen Auskunft geben, das ist lebendiger als jedes Geschichtsbuch.

Die umfangreiche und hoch spannende Homepage von Dr. Manfred Stolpe bietet zu vielen Punkten dieses Interviews noch ausführlichere Informationen, darunter auch eine Übersicht seiner Publikationen seit 1992.

Quelle: CareTRIALOG