Ansprache zum Tag der deutschen Einheit

Ansprache am 2. Oktober 2013 anlässlich des Eintrages in das Goldene Buch der Landeshauptstadt Potsdam und zum Tag der Deutschen Einheit 2013

Danke!

Ich bin gerührt und verunsichert. Matthias Platzeck war wieder hervorragend und ich hoffe, dass er noch viele Jahre für Potsdam und Brandenburg wirkt. An welcher Stelle auch immer.

Diese Potsdamer Ehrung freut mich – und vielleicht habe ich sie verdient. Potsdam liebe ich sehr – wie wir Zugereisten das oft heftiger tun als die Hiergeborenen.
Ja – ich habe mich – oft unauffällig für diese Stadt eingesetzt.

In der Zeit der Teilung kamen Richard von Weizsäcker und ich zu der Überzeugung, dass der Turm der Sacrower Kirche im Niemandsland als Mahnmal erhalten bleiben muss. Er besorgte das Geld und ich die Genehmigung.

Das jährliche Adventssingen in dieser Kirche habe ich gern für Begegnungen von Ost- und West-Politikern genutzt. Zuletzt im Dezember 1989, als Hans Modrow und Richard von Weizsäcker sagten, die Wiedervereinigung kommt. Und die Akten stimmen, die beschreiben, dass ich bei der DDR-Spitze für die Städtepartnerschaft Potsdam – Bonn geworben habe. Denn die sahen darin eine Missachtung der Hauptstadt der DDR Berlin. Ich gestehe, dass ich Bonn klein und hässlich geredet habe.
Heute freue ich mich, dass diese Städtepartnerschaft unsere Einheit vorweg genommen hat und weiter aktiv ist.

Und während der friedlichen Revolution habe ich die Staatsmacht dringend gebeten, die Protestanführer Martin Kwaschik, Stefan Flade, Detlef Kaminski und Matthias Platzeck nicht zu verhaften.

Aber ich habe auch Niederlagen erlebt. So ist es mir nicht gelungen, Potsdam davon zu überzeugen, die Ufergrundstücke am Griebnitzsee zu kaufen oder die Chance mit mir als Bundesminister für Verkehr zu nutzen, einen dritten Havelübergang zu bauen. Peinlich ist mir eine dritte Potsdamer Niederlage, als ich der Stadt ein Kohlekraftwerk empfahl. Das hat Horst Gramlich zum Glück verhindert. In der Tat, mit Potsdam hatte ich zu tun und vielleicht kann ich auch künftig diskret nützlich sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Heute soll ich hier eine Festansprache zum Tag der Deutschen Einheit halten. Doch wir sind zu einem Festkonzert zusammengekommen. Und deshalb sollte die Rede kurz sein. Und ich will nur einige Bemerkungen zur deutschen Einheit und zu Potsdam machen.

Haben Sie schon einmal mit 20jährigen, 14jährigen, 9jährigen über die Wiedervereinigung gesprochen? Ich tue es gern und komme mir doch immer wie ein Märchenonkel vor. Die Umstände und Wirkungsfaktoren der Wiedervereinigung waren vielschichtig. Sie exakt und differenziert zu erklären, überfordert die meisten Zuhörer. Da ist die Beschreibung „Es war ein Wunder“ einfacher und nicht falsch. Aber auch ein Wunder braucht Wirkungsfaktoren und Potsdam ist daran beteiligt.

Unsere Militärhistoriker haben herausgefunden, dass das Kommando der Landstreitkräfte der DDR hier in Eiche festgelegt hatte, nicht gegen friedliche gewaltlose Proteste vorzugehen. Wichtige Sprecher des gewaltfreien Protestes kamen aus Potsdam. Als das Volk sein Selbstbestimmungsrecht wahrnahm und die Mauer stürmte, befürchteten die Vormächte USA und Sowjetunion einen Bürgerkrieg, der ihre Annäherungspolitik zunichte gemacht hätte. Hier im Untergeschoß dieser Kirche fragte uns der amerikanische Außenminister Baker um Rat. Wir konnten sagen, nur schnelle freie Wahlen helfen. Und den Sowjets sagten wir das auch.

Das Wunder der Einheit geschah im Rahmen der Annäherung der USA und der Sowjetunion mit dem unerwarteten Verzicht Gorbatschows der Sowjetunion auf ihre Vormachtstellung in Mitteleuropa. Es geschah während der Protestbewegungen in Mittelosteuropa und wurde durch die Besonnenheit der DDR-Militärführung sowie die Gewaltfreiheit der Proteste ermöglicht.

Es hätte auch ganz anders kommen können! Heute, am Geburtstag Mahatma Gandhis erinnere ich, dass er das Vorbild gewaltfreier Proteste war. Meine Angst vor einer
Wiederholung des Juni 1953 war begründet. Einige Spitzenfunktionäre der DDR-Führung wollten den Protest erdrücken und sahen in der Niederschlagung der Pekinger Proteste im Frühling 1989 die richtige Methode. Potsdamer SED-Funktionäre setzten im Oktober 1989 die Ablösung dieser Leute durch.

Anrede
Wir haben alle großes Glück gehabt und Potsdam ist seit dem vom Aschenputtel zur Prinzessin geworden. Potsdam ist die Gewinnerin der deutschen Einheit. Jetzt gleichgestellt mit Versailles. Potsdam wächst ungebremst und wird immer attraktiver und immer vielfältiger. Aber auch mit vielen profilierten Meinungen, die oft unnachgiebig auf ihren Positionen beharren. Und manchmal wächst aus Unkenntnis über die Gründe anderer Meinungen Unverständnis und Intoleranz.

Aus Stadtentwicklungsfragen werden Glaubensfragen, die auch von den unterschiedlichen Ost-West-Biografien geprägt sind. Dabei könnte hier in Potsdam geübt werden – offen, geduldig, verständnisvoll – ohne östliche Abwehrhaltung und westliche Belehrungen miteinander auf Augenhöhe zu reden. Dabei könnte die Einzigartigkeit und die Andersartigkeit der Lebenswege und Bedingungen im geteilten Deutschland verstanden und respektiert werden.

Es gab nicht den nur Goldenen Westen und nicht nur ein Groß-Gefängnis DDR. Das gelebte Leben der Einzelnen ist selten nur schwarz-weiß. Es lohnt darüber zu reden und einander zuzuhören. Friedrich Schorlemmer hat gesagt „Die Mauer ist wohl aus den Augen, aber nicht aus den Seelen. Wir brauchen ein großes Palaver über unsere unterschiedlichen Herkünfte, Geschichten, Prägungen, Träume, Verletzungen, Normen, Lebensweisen, Glücksvorstellungen“. In Potsdam kann das gelingen. Hier sind auf allen Seiten kluge, gesprächsfähige Menschen.

Und für die Gespräche gibt es konkrete Anlässe, etwa:

– für oder gegen das Hotel Mercure,
– für oder gegen das Versöhnungszentrum Garnison-Kirchturm,
– für oder gegen die Wiederherstellung des Stadtkanals.

Bei allem war ich dabei und gern würde ich mich an einem echten Dialog beteiligen, aber ungern an allwissenden Monologen, da ist mein Bedarf gedeckt. Potsdam wurde 1685 durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm zum Vorort der Toleranz in Europa. Es wäre wunderbar, wenn wir diesem stolzen Erbe gerecht würden.

Anrede
Bitte erlauben Sie mir noch einige Hoffnungen und Wünsche an mein Potsdam zu nennen.
Bitte nicht vergessen, dass Potsdam Landeshauptstadt eines großen Flächenlandes mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen ist. Potsdam wächst stark und ist die jüngste Großstadt Deutschlands. Aber in Zweidritteln des Landes schwächelt die Wirtschaft, wandert die Jugend ab.

Doch die meisten Brandenburger sind stolz auf ihre Hauptstadt. Potsdam ist die beste Visitenkarte Brandenburgs und selbst ein Parkeintritt würde das nicht ändern.
Potsdam ist Hoffnungsträgerin für das ganze Land Brandenburg. Aber alle sehen genau, was hier geschieht.

Erschrecken Sie unsere Brandenburger bitte nicht durch abgehobene und manchmal kleinkarierte Debatten. Der Erfolg Potsdams durch die deutsche Einheit ist auch Verpflichtung: Zum Beispiel Gartz und Ortrand, Meyenburg und Mühlberg, die 100 Städte und 3000 Dörfer des Landes nicht zu vergessen. Fahren Sie dort mal hin: Die freuen sich! Denn auch diese schönen alten Städte und Dörfer hat Potsdam als Landeshauptstadt durch die deutsche Einheit gewonnen.

Anrede
Die deutsche Einheit ist ein Glücksfall – aber auch eine ständige Aufgabe.

Gott segne unsere Stadt.