Berlin-Brandenburg ist Zukunftssicherung

3.09.2010 – Manfred Stolpe für die Jubiläumsausgabe 20 Jahre Initiative Hauptstadt Berlin e.V.

Brandenburg und Berlin waren in ihrer Geschichte aufs Engste miteinander verknüpft. Über 700 Jahre gehörten Berlin und die Mark Brandenburg politisch, kulturell und wirtschaftlich zusammen. Die Stadt lebte von den Lieferungen und Leistungen des Landes und wurde aus märkischen Ziegeln und märkischen Sandsteinen erbaut. Berlin brachte Wirtschaftskraft und Nachfrage. Die Stadt wuchs mit Zuwanderern aus anderen Regionen aus dem Land heraus, wurde zur beherrschenden Mitte. Die Unterschiede zwischen dem pulsierenden Großstadtzentrum und entlegenen brandenburgischen Dörfern konnten größer nicht sein. Berlin und Berlinchen/Prignitz waren und sind zwei Welten. Doch niemand kam ernsthaft auf die Idee, dass dies zwei Länder sein sollten.

Dann kam der Zentralismus der Hitlerdiktatur mit der herausgehobenen Reichshauptstadt und schließlich die Spaltung durch das Besatzungsregime und den eisernen Vorhang mitten durch Berlin-Brandenburg. Während in späteren Jahren sogar Rheinland und Westfahlen, Baden und Württemberg zu einem Land fusioniert wurden, blieben Brandenburg und Berlin zwangsgetrennt, erlebten sehr unterschiedliche Entwicklungen, existierten in antagonistischen verfeindeten Gesellschaftssystemen. Das vom Westteil der Stadt abgespaltene Ostberlin, von der DDR-Führung gehätschelt, lebte einen eigenen Unterschied zum umgebenden Land.

Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit erwachte nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung. Ein erster schneller Versuch, 1990 ein Land Berlin-Brandenburg zu bilden, scheiterte am noch bestehenden Viermächtestatus Berlins. Aber das Ziel einer Fusion bestand fort und fand in einer grundgesetzlichen Regelung für einen erleichterten Zusammenschluss der Länder Berlin und Brandenburg seinen Niederschlag. Der Wille zum Zusammenschluss war in Berlin und Brandenburg vorhanden und wurde in einem Vertrag zur Bildung eines gemeinsamen Landes ausgedrückt. Die Landesregierung Brandenburg und der Senat von Berlin billigten ihn einstimmig. Der Brandenburgische Landtag und das Abgeordnetenhaus von Berlin beschlossen mit Zweidrittelmehrheit die Bildung eines gemeinsamen Landes. Im Unterschied zur Vorgabe des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland für Berlin und Brandenburg vereinbarten beide Länder die Notwenigkeit einer Volksabstimmung über die Fusion. Der nächstmögliche Termin wäre September 1995 gewesen. Im Oktober 1995 stand die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses an. Berliner Politiker forderten den Aufschub der Volksabstimmung bis zum Frühjahr 1996, um das Thema Fusion aus dem Berliner Wahlkampf herauszuhalten. So wurde als Abstimmungstermin der 6. Mai 1996 vereinbart. Ein Jahr nach der Einigung über die Fusion. Während im Sommer 1995 alle Umfragen eine Zustimmung der Wähler in Brandenburg und Berlin für die Fusion ergaben, scheiterte 1996 die Volksabstimmung vor allem in Brandenburg. Der Stimmungsumschwung innerhalb eines Jahres war wachsenden Ängsten vor Berliner Schulden und Bevormundung aber auch wachsender Arbeitslosigkeit geschuldet. Zukunftsängste der Brandenburger Bevölkerung durch Propaganda von Oppositionsparteien hoch geputscht verhinderten die Wiederherstellung der staatlichen Einheit von Berlin und Brandenburg und damit die Beseitigung einer bösen Kriegsfolge.

Die Brandenburger Landesregierung und der Berliner Senat vereinbarten jedoch, die Zusammenarbeit beider Länder zu intensivieren. Denn trotz der zunächst gescheiterten Fusion bleibt Berlin-Brandenburg ein Lebensraum, eine globale Region mit einer einmaligen siedlungsräumlichen Standortqualität. Eine hoch verdichtete Metropole und eine dünn besiedelte Kulturlandschaft liegen hier unmittelbar nebeneinander – ohne den Übergang durch einen suburbanen Siedlungsbrei. Die wechselseitige Erreichbarkeit von Peripherie und Zentrum ist innerhalb von 2 Stunden möglich. Die globale Region Berlin-Brandenburg besteht aus der kompakten Großstadt mit globalen Kommunikationsfunktionen und der Kulturlandschaft, dem Städtepark mit ebenfalls globalen Kommunikationsfunktionen. Berlins Funktion als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland verstärkt die Chancen dieser Region mitten im Herzen Europas. Der Erweiterungsprozess der Europäischen Union machte zudem die direkten Nachbarn in Mittel- und Osteuropa, insbesondere Polen, zu wichtigen Partnern. Die weltweite Globalisierung von Wirtschaft, Finanzsystem und Handel ist eine große Herausforderung an die Wettbewerbsfähigkeit der Städte und Regionen. Brandenburg und Berlin haben gute Voraussetzungen, sich im Wettbewerb der Regionen zu behaupten.

Brandenburg als Flächenland und Berlin als hoch verdichtete Metropole bilden gemeinsam eine Region mit vielfältigen Entwicklungspotenzialen. Beide Länder müssen zusammen gehen, um ihre Kräfte zu bündeln, ihre Chancen zu nutzen. Denn heute sind es nicht mehr die Metropolstädte allein, sondern die Metropolregionen, die eine Wirtschaftskraft von Weltniveau entwickeln können. Das zeigen solche Boomreviere, wie London, Barcelona oder Paris mit Ille-de-France. Aber auch Masowien mit dem Zentrum Warschau oder das Moskauer Gebiet mit Moskau werden im Konzert der globalen Wachstumsregionen mitspielen.

Folgerichtig haben die Regierungen von Brandenburg und Berlin vielfältige Formen verbindlicher Kooperation entwickelt. Die gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg schafft seit 1996 wichtige Grundlagen für die Wachstumsförderung und Infrastrukturentwicklung in der Gesamtregion. Vor dem Hindergrund des demographischen Wandels kommt dabei der Sicherung der Daseinsvorsorge große Bedeutung zu. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung des Prinzips, Orte, die weit entfernt sind von Berlin, speziell zu fördern. Es geht darum, die jeweiligen Standortvorteile und Besonderheiten ganz gezielt zu unterstützen sowie Berlin und Brandenburg als Ganzes zur Hauptstadtregion weiter zu entwickeln. Die Frage, wie man die Unterschiede zwischen Berlinnahen und den

Berlinfernen Räumen ausgleichen kann, welche Perspektiven den Räumen an der Peripherie vermittelt werden können, wird von größter Bedeutung sein. Mit zunehmender Entfernung von Berlin nehmen bisher die Vorteile der globalen Funktion ab. Deshalb müssen auch subregionale Entwicklungen gestärkt werden. Das gilt in besonderer Weise für Cottbus, Frankfurt/Eisenhüttenstadt, Schwedt/Prenzlau und Wittenberge/Perleberg.

Die Verflechtungen zwischen Berlin und Brandenburg sind nicht nur von existenzieller Bedeutung für ihren Bestand als eine gemeinsame Wirtschaftsregion. Als solche wird sie im Übrigen von außen schon längst wahrgenommen. Die Wechselbeziehungen sind auch prägend für das kulturelle Leben und für die Art zu denken, zu arbeiten und zu kommunizieren. Das wird deutlich an den Medienstandorten Adlershof, Babelsberg und Masurenallee. Das gilt ebenso für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die Beispiele wie Berlin und Brandenburg heute ihre Kompetenzen und Potenziale aufstellen, um als ganzes effektiver zusammenzuwirken, sind zu finden im Gesundheitswesen, in der Energiewirtschaft, in der Biotechnologie, im Verkehrsverbund und im Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg-International. In vielen Bereichen, vor allem in der Verwaltungsebene, funktioniert die Zusammenarbeit Hand in Hand. Projekte, wie gemeinsame Obergerichte und zahlreiche gemeinsame Behörden und Einrichtungen, sind Kernstücke der Kooperation. Gelegentlich wird sogar von einer regelrechten Fusionswelle gesprochen. Doch die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen die Bildung eines gemeinsamen Landes sind noch deutlich vorhanden, gepaart mit Skepsis über die Ernsthaftigkeit politischer Bemühungen, denn die Regierungen Brandenburgs und Berlins vermeiden Fusionsdebatten oder gar Fusionstermine. So entsteht beinah eine Tabuisierung dieses wichtigen Themas mit der Wirkung eines nachlassenden Elans für die weitere Zusammenarbeit und schließlich das Zusammenwachsen von Brandenburg und Berlin.

Dabei wächst objektiv der Druck auf Entscheidungen auch aus finanziellen Gründen. Zum 31. Dezember 2019 läuft mit dem Ende des Solidarpaktes endgültig die Sonderzahlung für die Ostländer aus. Das bedeutet einen empfindlichen Einnahmeverlust für beide Länder. Hinzukommt die verfassungsrechtliche Schuldenbremse. Bis Neujahr 2020 müssen die Länderhaushalte ausgeglichen sein oder eine Bundeszwangsverwaltung wird unvermeidbar. Alle Sparmöglichkeiten müssen genutzt werden. Die Länder müssen sich schlankere und kostengünstigere Strukturen geben. Der Einspareffekt für Berlin und Brandenburg durch die Bildung eines gemeinsamen Landes liegt bei etwa 500 Millionen jährlich.

Getrieben vom finanziellen Druck aber auch im Interesse der Nutzung gemeinsamer Potenziale in Forschung und Wissenschaft sowie zur wirksameren Anwerbung von Investoren, wird die Bildung eines gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg in den nächsten 10 Jahren zur Notwendigkeit, um Zukunft zu sichern. Diese Erkenntnis kann sich durchsetzen, wenn sie konkret dargestellt wird. Vielleicht weniger mit rosigen Zukunftsvisionen eines gemeinsamen Landes, sondern mehr mit berechenbaren Schäden für jeden einzelnen, wenn Zukunftsvorsorge unterlassen wird.

Sehr wichtig wird es sein, Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Brandenburg zu stärken, Verbindungen zu schaffen, die über die oft unauffällige Zusammenarbeit von Verwaltungen hinausgehen. Jugendaustauschprogramme und Jugendwettbewerbe können das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit schaffen. Gemeinsame Großveranstaltungen, wie z. B. auf dem länderneutralen Flughafenumfeld Schönefeld, können das Zusammenwachsen befördern. Vielleicht sollten die beiden Länder gemeinsame Beauftragte für Berlin-Brandenburg einsetzen, die alle Möglichkeiten des Zusammenwachsens fördern müssen. Das mag etwas Geld kosten, aber wenn es gelingt, verhilft es zur größten Einsparung in dieser Region bis 2020.