Der andere Bischof – Beitrag zum Erinnerungsbuch an Bischof Dr. Gottfried Forck
In meinen 30 Jahren im kirchlichen Dienst habe ich hautnah viele Bischöfe kennengelernt. Das waren sehr unterschiedliche Menschen. Ich erlebte starke Führungspersönlichkeiten, furchtlose Kämpfer, selbstbewusste Patriarchen, geschickte Diplomaten, einfühlsame Seelsorger und mitreißende Propheten. Allen gemein war, dass sie sich der besonderen Würde des Bischofsamtes bewusst waren und das auch deutlich machten.
Gottfried Forck war anders. Er passte so gar nicht in meine Bischofsbilder-Galerie. Gottfried Forck war zu allererst Mensch, dem seine Mitmenschen, Schwestern und Brüder, wichtiger waren als die Würde des Amtes. Er verstand sich als Gehilfe, als Diener. Bei Veranstaltungen stürmte er nicht amtsbewusst in die erste Reihe, sondern blieb am Rande, wo Menschen seinen Zuspruch brauchten oder er ergriff die Kaffeekanne, um beim Einschenken zu helfen. Ich habe ihn fast ein Jahrzehnt unmittelbar in Freud und Leid, in besinnlichen und dramatischen Situationen erlebt und wurde dabei von einem skeptischen Beobachter zu einem Bewunderer, der versuchte, diesen wirklichen Hirten einer bedrängten Schar zu unterstützen und zu schützen.
Vor seinem Dienstantritt gab es nicht Wenige, die Gottfried Forck für nicht geeignet zum Bischofsamt hielten. Manche wollten seine Wahl verhindern. Denn das Bild des Berlin-
Brandenburger Bischofs war geprägt von eindrucksvollen Gestalten, wie Otto Dibelius, Kurt Scharf und Albrecht Schönherr. Das waren leitende Geistliche, denen man ihr hohes Amt schon ansah, die kluge und geistliche Worte sagten und auch nicht unbedingt wissen mussten, was die Gemeindeglieder und die kirchlichen Mitarbeiter tatsächlich bewegte.
So ein Vorzeigebischof war in der Regel weit weg von den einfachen Leuten, was auch ein Vorteil sein konnte. Und nun sollte Gottfried Forck in diese Schuhe treten? Ja, die Synode wollte ihn und wählte ihn. Einmal mehr zeigte sich dann, dass Synodale das richtige Gespür für notwendige Entscheidungen hatten. Denn mit Gottfried Forck bekam die evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg in schwierigen Jahren einen Bischof, der geistlicher Vorarbeiter, verstehbarer Verkündiger des Wortes und nahe bei den Sorgen der Menschen war. Ein Bischof aus der Mitte der Gemeinde, der sich als ihr erster Diakon verstand. Gottfried Forck hielt nichts vom Abwarten oder Überwintern. Er wollte Klarheit, keine verschnörkelten Reden, keine Leisetreterei und Handeln wo es geboten war. Gottfried Forck war ein furchtloser Verkündiger der Wahrheit, der den einfachen Menschen helfen und die Machthaber in die Verantwortung rufen wollte.
Im alten Konsistorium, auf dem Hof der Neuen Grünstraße 19, wurde werktags um 8.00 Uhr eine Andacht gehalten, wo wir uns häufig begegneten. Ich erinnere mich an Nachgespräche, in denen wir uns unter anderem über den unbequemen Propheten Amos unterhielten. Selten habe ich erlebt, wie in solchen Glaubensgesprächen der Theologe den Nichttheologen ernst nahm, geduldig zuhörte und verständlich seine eigenen Einsichten darlegte. Ich habe es als Anerkennung meines laienhaften Bemühens verstanden, als Gottfried Forck mir 1985 sein Buch „Taufe – theologische Information für Nichttheologen“ widmete.
Wenige Monate nach seiner Wahl wurde ich zu seinem juristischen Gehilfen, zum Konsistorialpräsidenten bestellt. Ich vermute, dass meine Wahl durch die Kirchenleitung bei manchen Beteiligten von dem Wunsch bestimmt war, diesem Bischof einen gewieften Pragmatiker zur Seite zu stellen. Unterschiedlicher konnten Menschen in dieser Konstellation kaum sein. Der große sportliche Bischof, der Zeugnis für die Wahrheit gab und sie unverkürzt und ungeschminkt gegen jedermann, auch mit Mannesmut vor Fürstenthronen aussprach und daneben der zu kurz und zu dick geratene Konsistorialpräsident, der freundlich um Probleme herumredete, gegenüber dem Staat eine nicht immer glaubwürdige Konfliktvermeidungsstrategie betrieb und bei aller Freundlichkeit nie alle Karten auf den Tisch legte, eigene verschlungene Wege ging. Der dem Bischof manche Fakten und Zusammenhänge verschwieg. Denn der Bischof sollte ohne Arg und Zweifel bleiben. Ich glaube, dass diese unterschiedliche Vorgehensweise gerade in den dramatischen Krisenjahren der DDR dem gemeinsamen Wunsch auf Veränderung der Verhältnisse gedient hat: Der klare unmissverständliche und durchschaubare Bischof als Hüter der Wahrheit und Vorkämpfer der Veränderung der Verhältnisse einerseits und der nach allen Seiten für Beruhigung und Geduld werbende Jurist andererseits.
Eine Situation bleibt mir unvergessen: Die evangelische Jugend hatte sich für das Friedenszeugnis engagiert und das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ verbreitet, auch auf ihren Jacken befestigt. Die Staatsmacht sah darin Anfänge einer Oppositionsbewegung und ging brutal dagegen vor. Die Symbole wurden von Polizei und Sicherheit abgerissen, die jungen Christen diskriminiert und verfolgt. Eine Delegation der evangelischen Kirche ging zu einer Verhandlung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen. Gottfried Forck gehörte dazu und befestigte das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ auf seiner Aktentasche – unübersehbar für die Regierungsvertreter. Im Vorgespräch der kirchlichen Verhandlungsgruppe wurde versucht, Bischof Forck zu bewegen, die Tasche mit dem Symbol nicht in die Verhandlung mitzunehmen, weil das als Provokation verstanden werden könnte. Andererseits konnte die Unterstützung der bedrängten jungen Christen durch Vertreter der Kirchenleitung nicht deutlicher gezeigt werden. So kam es. Alle sahen Forcks Aktentasche und das Symbol auf ihr zeigte den Staatsvertretern, dass es nicht möglich war, die Kirchenleitung gegen das deutliche Friedenszeugnis der Jungen Gemeinde aufzubringen. Die Staatsmacht setzte dennoch die Verfolgung des Symbols in Schulen und im öffentlichen Raum fort. Aber für tausende junge Christen war die Erfahrung einer so großen kirchlicherseits unterstützten Oppositionsbewegung prägend für ihr späteres Eintreten für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde so der Start für eine immer breiter werdende Bewegung, die eine Veränderung der Verhältnisse wollte. Eine junge Generation wuchs heran, die nicht bereit war stillzuhalten, wenn Unrecht geschah und Anpassungs-Heuchelei erwartet wurde. Die republikweite Wahlbeobachtung und Entlarvung des Wahlbetruges im Mai 1989, das
Protesttrommeln gegen die Ermordung tausender oppositioneller Jugendlicher auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und die Protestdemonstration gegen das Verbot staatskritischer Artikel in den Kirchenzeitungen machten deutlich, dass sich hier nicht Menschen äußerten, die in kleinen Zirkeln über eine bessere DDR diskutierten, sondern Menschen ihren Protest deutlich öffentlich zeigen wollten. Bischof Forck hat sie nicht aufgewiegelt, aber auch nicht beschwichtigt. Denn auch für ihn durfte die Wahrheit nicht in immer nutzloser werdenden Kirche-Staat-Gesprächen verdunkelt werden. Bischof Forck gehörte dann auch zu denen, die auf der September-Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 1989 in Eisenach weitere Hinhaltegespräche mit dem Staat ablehnten und unmissverständlich Reformen für Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Reisefreiheit, Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine effektive Wirtschaft forderten. Wenig später formulierten das Neue Forum, Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch und die wieder gegründete SPD die gleichen Forderungen.
Die Ungeduld der Menschen wuchs. Zehntausende trugen ihren Protest auf die Straße. Mit Schüssen in Dresden, Massenverprügelung in Berlin konnten die Menschen nicht aufgehalten werden. Nach großen Demonstrationen in vielen Städten der DDR versuchte die SED-Spitze vergeblich, mit der Absetzung Honeckers und mit Reformzusagen das System zu retten. Die Mauer fiel, die vier Siegermächte stimmten freien Wahlen und schließlich der Wiedervereinigung Deutschlands zu.
Bischof Gottfried Forck war immer gefragt. Auf ihn wurde geschaut und ihm wurde vertraut. Schon seine Anwesenheit machte Mut und gab der Oppositionsbewegung ein Signal zur Fortführung ihrer Proteste. Unvergessen für mich ein gemeinsamer Besuch im Oktober 1989 bei einer Protestveranstaltung mit fast 2.000 Teilnehmern in der Gethsemane-Kirche in Berlin. Gottfried Forck bestätigte in wenigen Worten die Notwendigkeit von Veränderungen im Lande, die Legitimation der öffentlichen Proteste und forderte eindringlich zu Gewaltlosigkeit auf. Das war bewegend und überzeugend. An dem Abend lag seine Frau im Sterben. Er wusste es. Ich habe Gottfried Forck gedrängt, die Veranstaltung zu verlassen, um zu seiner Frau zu gehen. Er war sehr betroffen und unglücklich. Die persönliche Sorge verstärkte seine ernsten Worte an die Menschen in der überfüllten Kirche. Bischof Gottfried Forck gab mit größtem persönlichem Einsatz der Protestbewegung die Orientierung und den Weg zum Erfolg.
Gottfried Forck war ein Bischof mitten in der dramatischen Entwicklung, was er sagte dazu stand er geradlienig ohne Wenn und Aber, ohne Seitenwege und Rückversicherung. Die Menschen spürten dass und hatten absolutes Vertrauen zu ihm. Er war wie ein Leuchtturm in Sturm und Unwetter. Wir sollten dankbar an diesen Bischof, den Zeugen der Wahrhaftigkeit in schwierigsten Jahren erinnern.