Manfred Stolpe und seine Sorgen um Potsdam

Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe wird am Pfingstmontag 80 Jahre alt – trotz seiner Krebserkrankung fühlt er sich gut. Der Frühaufsteher hat noch immer einen vollen Terminkalender. Aber er geht nun alles ein wenig ruhiger an. Nur seine Meinung lässt er sich nicht verbieten. Zudem hätte er da einen Vorschlag für Potsdams aktuellen Oberbürgermeister.

PotsdamZu Herrn Stolpe? Einen Moment.“ Die Dame am Empfang hat gerade den Telefonhörer abgehoben, da kommt Manfred Stolpe auch schon um die Ecke. 15.30 Uhr, auf die Minute genau zum verabredeten Zeitpunkt. Er trägt einen grauen Anzug, einen blauen Pullover über dem Hemd, die gestreifte Krawatte ist akkurat gebunden. „Ich habe eine Runde gedreht. Wollen wir noch ein paar Schritte laufen?“

Es ist ein warmer Frühlingstag. Auf der Terrasse des Cafés im Johanniter-Seniorenquartier an der Potsdamer Zeppelinstraße stehen Sonnenschirme, die Tische sind gut besetzt. Stolpe wohnt hier mit seiner Frau Ingrid (78) in einer Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Stolpe geht leicht gebückt, aber zügig. Man merkt ihm die Krebserkrankung nicht an.

Nur die Stimme ist etwas brüchiger geworden. „Manchmal krächze ich wie ein alter Kolkrabe“, sagt er. Am Pfingstmontag wird der frühere Brandenburger Ministerpräsident 80 Jahre alt. Der gebürtige Stettiner will mit der Familie auf Usedom feiern.

MAZ: Zunächst einmal, wie es Ihnen geht?

Manfred Stolpe: Ganz gut, natürlich unter medizinischer Kontrolle. Ich bin nicht mehr leichtsinnig mit meiner Gesundheit wie vor zwölf Jahren. Da habe ich mich an mir selbst versündigt…

Das war 2004, als bei Ihnen Darmkrebs festgestellt wurde und Sie als Bundesverkehrsminister die heftig umstrittene Lkw-Maut unbedingt voranbringen sollten.

Stolpe: Ich habe mir gesagt, wenn ich jetzt ins Krankenhaus gehe, dann stirbt das Projekt. Also muss die Behandlung verschoben werden. Ich habe auch keinem was gesagt, nur Franz Müntefering wusste Bescheid, der ist verschwiegen. Ich dachte, das wird schon alles gut gehen. Aber der Krebs hatte schon gestreut. Ich war zu leichtsinnig, bin aber der Höchststrafe, dass das Leben verkürzt wird, entgangen.

Würden Sie das wieder so machen – erst die Pflicht, dann die Gesundheit?

Stolpe: Ich weiß nicht.

2008 mussten Sie erneut operiert werden, in der Leber hatten sich Metastasen gebildet, vor drei Jahren war die Lunge betroffen, wieder Operation und Chemotherapie.

Stolpe: Bei der Sache mit der Leber gab es einen sehr guten Chirurgen am Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum. Der traute sich da ran. Ein Drittel Leber wurde entfernt. Aber ich kann Sie beruhigen, die wächst wieder nach.

Seit der Brustkrebserkrankung Ihrer Frau Ingrid 2008 gehen Sie beide sehr offen mit dem Thema Krebs um und haben ein Buch darüber geschrieben. Sie wollten damit Mut machen, hatten Sie viel Resonanz?

Stolpe: Sehr viel. Krebs muss heute kein Todesurteil mehr sein. Untersuchungstechnik und Behandlungsmethoden haben sich deutlich weiterentwickelt. Die Ärzte sehen ja heute mehr, als man vermuten könnte. Ich war nie der Vorsorgetyp. Das war grundfalsch. Deshalb mein Appell an alle: Geht zur Vorsorge!

Sie stehen immer noch in aller Herrgottsfrühe auf?

Stolpe: So früh auch nicht. Eine halbe Stunde länger gönne ich mir schon im Bett – bis drei viertel sechs. Dann Morgennachrichten im Radio, Zähne putzen und mit meiner Frau runter ins Schwimmbad. Danach fühle ich mich gut, frühstücke, erledige Post, bereite Texte vor für Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde. Aber ich merke, dass ich wieder mehr laufen muss.

Wie voll ist Ihr Terminkalender?

Stolpe: Ich mache, was ich schaffen kann. Der jährliche Dorfkirchen-Sommer im Land liegt mir am Herzen. Wichtig ist mir auch die Arbeit im Vorstand der Flick-Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz sowie im Kuratorium des Deutsch-Russischen Forums, das Matthias Platzeck seit zwei Jahren leitet.

In der Russland-Frage kann man sich derzeit schnell unbeliebt machen und als Putin-Versteher abgestempelt werden.

Stolpe: Das stört mich nicht. Ich halte es mit Helmut Schmidt, der immer gesagt hat, dass die Probleme in der Welt nicht ohne die Russen gelöst werden können.

Bekommen Sie noch viele Briefe?

Stolpe: Etwa 20 jeden Tag, ich versuche sie alle zu beantworten.

Sie leben jetzt mit Ihrer Frau das vierte Jahr im Betreuten Wohnen. Haben Sie es jemals bereut?

Stolpe: Nein. Als wir uns dazu entschlossen haben, ging es darum, noch einige gemeinsame Jahre verbringen zu können. Das Haus und den großen Garten konnten wir nicht mehr länger bewältigen. Die Trennung davon fiel uns aber leicht, weil meine Tochter mit ihrer Familie jetzt dort wohnt. Wir freuen uns schon auf die nächste Grillparty. Und die Enkelsöhne – neun und 15 Jahre – gleich um die Ecke, das ist wunderbar.

Wie begegnet man Ihnen hier im Seniorenquartier, als Ex-Ministerpräsident?

Stolpe: Manchmal ist da schon ein bisschen Distanz, aber wenn wir ins Gespräch kommen, freuen sich dann alle, dass ich völlig normal bin.

Ihnen haftet an, ein pommerscher Dickschädel zu sein. Ist das ein spezieller Typus?

Stolpe: Ich glaube nicht. Das ist so eine gewisse Sturheit der Landbevölkerung, im Alltag oft ganz praktisch. Die Mecklenburger und Uckermärker haben das auch.

Sie sind gebürtiger Stettiner, haben aber die Kriegszeit wegen der Bombenangriffe auf dem Lande verbracht. Wie war Ihre Kindheit?

Stolpe: Unbeschwert, eine schöne Zeit mit den anderen Kindern im Dorf. Wir Stettiner gaben den Ton an. In der Schule hatte ich keine großen Probleme.

Ihr Vater war Gastwirt.

Stolpe: Er stammte von einem Bauernhof. Aber das war nicht sein Ding. Ja, ich bin am Zapfhahn aufgewachsen. Alkohol war freilich tabu für mich.

Als Kind wollten Sie Förster werden. Warum? Weil der mit der Flinte im Wald unterwegs ist?

Stolpe: Nein, weil der Förster im Dorf was darstellte, er war wichtig und wurde von allen geschätzt, wie auch der Gastwirt.

Aber Sie wurden weder Förster, noch Gastwirt, sondern Jurist.

Stolpe: Wir sind zum Kriegsende vor der heranrückenden Front nach Greifswald geflohen. Ich wollte nach dem Abitur Germanistik studieren, aber da ich nur vier Einsen auf dem Zeugnis hatte, wurde ein Besserer vorgezogen. Ich war dann Geldzähler bei der Deutschen Notenbank. Damals gab es noch 50-Pfennig-Scheine. Einmal hatte ich einen zu viel. Schließlich erschien es mir verlockend, Rechtsanwalt oder Richter zu werden. Also an eine Juristische Fakultät. Die an der Universität in Jena hat mich genommen.

Ohne Weiteres?

Stolpe: In den fünfziger Jahren sind viele junge Leute in den Westen gegangen. Die Unis hatten oft Mühe, die Studienjahrgänge voll zu bekommen. Da ich nicht in die SED wollte, wurde ich aber beargwöhnt. Man bescheinigte mir zum Abschluss des Studiums bürgerliches Denken und gab mir in Marxismus-Leninismus eine Vier.

Sie wollten nie in den Westen gehen, auch nicht nachdem Ihr neun Jahre älterer Bruder, der als Soldat vermisst war, sich aus Bayern gemeldet hatte?

Stolpe: Das war für mich nie eine Option. Meine Frau hat damit ein bisschen geliebäugelt. Sie hatte Freunde in München und fand die Stadt ganz schön. Ich komme nach meiner Mutter, einer sehr frommen Frau, die immer sagte, wenn wir hierher gestellt sind, dann leben wir hier und laufen nicht weg, nur weil es uns nicht gefällt.

Potsdam wurde noch vor dem Mauerbau Ihre Heimatstadt und ist es geblieben. Wie kamen Sie nach Potsdam?

Stolpe: Ich hatte als Jurist eine Anstellung bei der Evangelischen Kirche bekommen, erhielt aber keine Zuzugsgenehmigung nach Berlin. Von Potsdam aus kam man mit der S-Bahn schnell nach Berlin.

Wie war Potsdam zu DDR-Zeiten?

Stolpe: Eine Stadt, die ich immer geschätzt habe, vor allem auch wegen ihrer Menschen. Selbst Funktionäre, wie etwa die langjährige Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke, waren bei Problemen ansprechbar. Es gab auch viele Handwerker, die ich gewinnen konnte, etwas für die Kirche zu tun.

Und Potsdam heute?

Stolpe: Die Stadt ist regelrecht aufgeblüht. Ich habe aber ein bisschen Sorge, dass man hier vergisst, eine Landeshauptstadt für das ganze Land zu sein. In den Tiefen Brandenburgs, in Lausitz oder Prignitz, haben die Menschen deutlich schwerer zu kämpfen.

Was würden Sie verändern, wenn Sie Oberbürgermeister wären?

Stolpe: Zunächst mal glaube ich, dass Jann Jakobs seine Sache sehr gut macht. Aus meiner Sicht wird aber vor allem die Verkehrsplanung ideologisch beeinflusst. Es gibt einen Kampf gegen das Auto. Stadtplaner sind aber keine Erzieher. Das ist nicht gut für die Menschen, die hier wohnen und arbeiten und sich durch die Stadt bewegen müssen. Mehr Einengungen an Straßen führen zu langen Staus und zusätzlichen Belastungen.

Von Volkmar Krause -Quelle:  MAZ-Online