Neuer Glanz für alte Städte – Erinnerungen an eine gute Zusammenarbeit
In der Politik Erfolg und Anerkennung zu ernten, gelingt nur selten. Man sollte das nicht beklagen. Die Welt kommt nur voran, wenn die Menschheit sich nicht auf Erfolgen ausruht,
sondern darüber diskutiert, was sich noch besser machen lässt. Umso erfreulicher ist aber, wenn Politiker auf gemeinsame Erfolge zurückschauen können. Karl-Heinz Daehre und mir ist das vergönnt, wenn wir die Erneuerung der Städte in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland betrachten. Als der für den Städtebau zuständige Minister des Landes Sachsen-Anhalt in den Jahren 1991 bis 1994 und in der Zeit seit 2002 hat Karl-Heinz Daehre maßgeblichen Anteil daran, dass dieser Prozess nach der Wiedervereinigung in Gang kam und bis heute nicht an Dynamik verloren hat. Ich konnte meinen Beitrag zunächst als Ministerpräsident des Landes Brandenburg und von 2002 bis 2005 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen leisten.
Warum ist es gerechtfertigt, die Erneuerung der Städte in den neuen Ländern als Erfolg zu werten und zu würdigen? Ich sehe dafür gleich mehrere Gründe.
Zum einen gehörte der Zustand der Innenstädte am Ende der DDR, insbesondere der immer stärker drohende Verfall historischer Bausubstanz, zu den Missständen, welche die Menschen 1989 veranlassten, auf die Straße zu gehen und eine Wende einzufordern. Viele Quartiere in den Innenstädten waren unbewohnbar geworden. Der Abriss hatte begonnen und sollte in großem Umfang fortgesetzt werden. Bis auf wenige Häuser – meist waren dafür die Marktplätze ausgewählt – sollten die historischen Gebäude abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden, die dem alten Bild der Städte nur ansatzweise entsprachen. Wer sich ausmalen möchte, wie die Städte ohne die Wende heute wahrscheinlich aussehen würden, sollte die Beispiele für solche Ersatzbauten in der Potsdamer Gutenbergstraße oder in der Quedlinburger Schmalen Straße betrachten.
Zum Zweiten zählen die historischen Städte zu dem besonders Wertvollen, zum „Tafelsilber“, das die neuen Länder in das vereinte Deutschland eingebracht haben. In den neuen Ländern gab es nach dem Krieg – trotz der auch dort zu beklagenden erheblichen Verluste – noch viel
historische Bausubstanz. Sie blieb auch nach dem Krieg weitgehend erhalten, während in den alten Ländern im Zuge des Wirtschaftswunders manches historische Gebäude dem Bauboom weichen musste. Eine beträchtliche Zahl historischer Stadtkerne war daher zurzeit der Wende in ihrer Substanz erhalten geblieben, aber nach jahrzehntelanger Vernachlässigung akut vom Verfall bedroht. Nur mit gewaltigen Anstrengungen ließ sich der Totalverlust dieser kulturell bedeutsamen Ensembles noch abwenden.
Zum Dritten bedeutete die Erhaltung und Erneuerung der Städte für die Menschen in den neuen Ländern Beständigkeit in einer sich tiefgreifend wandelnden Zeit. Je mehr die Welt sich ändert, desto mehr brauchen wir das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Wir müssen uns an etwas Vertrautem festhalten können, wenn wir uns auf eine neue Gesellschaftsordnung oder auf die zunehmende Globalisierung einzustellen haben. In diesem breiten Wandel haben die Stadterneuerung, das Erhalten und Wiederaufblühen der vertrauten Quartiere die Verbundenheit der Bürger mit ihrer Heimat gestärkt.
Die Erneuerung und Erhaltung ist zum Vierten ein gelungenes Beispiel für den Aufbau Ost. Sie ist etwas, worauf wir gemeinsam stolz sein können. Das gilt umso mehr, als mancher die Erhaltung historischer Bausubstanz zunächst mit Skepsis betrachtet hat. Denn es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie schön ein bereits weitgehend verfallenes Stadtviertel später aussieht, nachdem es wieder hergestellt wurde. Und es fiel manchem auch anfangs schwer, die Finanzierung der Sanierung gutzuheißen, wenn der Abriss und Neubau billiger wäre. Aber diese Zweifel lösen sich in Zustimmung, ja auch Stolz aus, wenn man die alten Gebäude in ihrem neuen Glanz sieht und wenn man hört, wie die fremden Besucher das wiederhergestellte historischer Stadtbild rühmen und sagen, wie sehr sie die einheimischen Bürger um ihre Stadt beneiden.
Aus allen diesen Gründen war es richtig, dass die städtebauliche Erneuerung zu den wichtigsten Aufgaben gehörte, welche die für den Städtebau Verantwortlichen in den Kommunen, in den Ländern und im Bund sich nach der Wiedervereinigung stellten. Es hat sich gelohnt, dafür gewaltige Mittel einzusetzen, zumal dieses Geld auch zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert hat. Ich erinnere mich gern an die Zwischenbilanz, die der Bund und die neuen Länder im Jahr 2005 gezogen haben, als sie gemeinsam mit den Städten, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz die Ausstellung „Denk!mal: Alte-Stadt – Neues Lebens“ gestalteten.
Karl-Heinz Daehre war sowohl in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung als auch von 2002 bis heute der für den Städtebau zuständige Minister des Landes Sachsen-Anhalt und hat damit maßgeblich zum Erfolg der Stadterneuerung in Sachsen-Anhalt beigetragen. Und er hat sich von Anfang an mit ganzem Herzen für die Erhaltung und Erneuerung der Städte eingesetzt. Er verdeutlichte das vor wenigen Monaten, als er in Quedlinburg ein Buch über die Erneuerung dieser Stadt vorstellte. Er warf einen Blick in die Wendezeit zurück und führte aus: „Wir können stolz sein, was wir seit 1990 gemeinsam mit dem Bund und den Denkmalschützern erreicht haben. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als die Bewahrer im Kreuzfeuer der Kritik standen und als Aufbauverhinderer gebrandmarkt wurden.“ Solche Kritik ist heute weitgehend verstummt. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass Quedlinburg und neun andere Städte der neuen Länder seit 1990 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Dennoch gilt es, auch heute aus den Erfahrungen zu lernen und die alten Fehler nicht zu wiederholen. Denn immer wieder flackern Forderungen auf, alte Substanz durch Neubauten zu ersetzen, weil der Denkmalschutz Investitionen behindere oder der Energieeinsparung im Wege stehe. Diese vordergründige Betrachtungsweise verkennt, dass Stadterhaltung nicht nur kulturelle, sondern auch wirtschaftliche Bedeutung hat. Attraktive Städte sind für die Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor und zahlen sich auch beim Tourismus aus.
Welche Anstrengungen hinter dem Erreichten stehen, mögen ein paar Zahlen verdeutlichen. Der Bund hat den neuen Ländern von 1991 bis 2010 mehr als 7 Milliarden Euro für die Städtebauförderung zur Verfügung gestellt. Das liegt über den 6,4 Milliarden Euro, welche die alten Länder von 1971 bis 2010 erhalten haben. Die neuen Länder beteiligten sich ebenfalls an der Städtebauförderung und haben weitere 7 Milliarden Euro aufgebracht. Aber auch die Städte und Gemeinden der neuen Länder waren an der Finanzierung beteiligt und steuerten über 5,5 Milliarden Euro bei. Zu den Schwerpunkten der Städtebauförderung gehört das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz, das sich auf die Wiederherstellung der historischen Stadtkerne und Stadtteile konzentriert. Allein dieser Bereich der Städtebauförderung kam 200 Städten der neuen Länder zugute.
Der städtebauliche Erneuerungsprozess ist damit aber noch keineswegs abgeschlossen. Stadterneuerung ist eine Generationenaufgabe. Wir sind aber auf einem guten Weg und haben bereits eine ordentliche Strecke geschafft. Deshalb ist es schön, wenn man rückblickend – mit Goethe – sagen kann: Wir sind dabei gewesen.