Sachsenhausen mahnt!
Eröffnung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen vor 50 Jahren
Ich weiß nicht, ob einige von Ihnen vor 50 Jahren schon einmal hier standen, als die DDR mit einem riesigen Festakt die Eröffnung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte feierlich würdigte. Weit mehr als 100.000 Menschen aus dem In- und Ausland kamen zu der Veranstaltung, an den Straßen standen tausende DDR-Bürger, um vor allem die ehemaligen Inhaftierten zu begrüßen und respektvoll zu empfangen.
Damit leistete die Einweihungsfeier etwas, was entscheidend für die Opfer des Nationalsozialismus war: Sie wurden mit allen Ehren empfangen. Gleichzeitig zeigte die Gedenkveranstaltung, dass auch für die Nachgeborenen der politische Auftrag, gegen Diktatur und Faschismus zu kämpfen, noch galt.
Heute, mit 50 Jahren Abstand müssen wir aber die Frage stellen, ob die wichtigen Anliegen der Opfer bei der Eröffnungsveranstaltung erfüllt, oder ob sie nicht durch den politischen Missbrauch entstellt wurden.
Weltpolitisch war das kommunistische Lager 1961 in der Offensive: Die Sowjets hatten mit Juri Gagarin den ersten bemannten Weltraumflug erfolgreich abgeschlossen. Der Versuch, Fidel Castro in Kuba zu stürzen, war in der Schweinebucht kläglich gescheitert. Die Schwachstelle des Ostblocks aber war die DDR. Mit ihren offenen Grenzen und der Abwanderung tausender Fachkräfte Richtung Westen stellte sie das kommunistische System in Frage. Wenn Westberlin als Fluchtweg offen bliebe, wäre ein Ausbluten der DDR unausweichlich. Die DDR steckte in einer Legitimationskrise. Sie wollte und musste beweisen, dass ihre Existenz notwendig war.
Sie propagierte den Schutz ihres antifaschistischen Systems vor einer bundesrepublikanischen Regierung, die als Hort des fortdauernden Nationalsozialismus bezeichnet wurde. Schließlich konnte dort ein verurteilter Wehrmachtsgeneral Foetsch zum Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt werden oder der prominente Nazi Staatssekretär Globke im Kanzleramt tätig sein.
Mit dieser Argumentation sollte den Verbündeten deutlich werden, welch schweren Kampf die DDR gegen den Nazi-Nachfolge-Staat Bundesrepublik Deutschland führte. Und dass sie deshalb besonderen Angriffen aus dem Westen ausgesetzt war, die einen Mauerbau als antifaschistischen Schutzwall erforderlich machten.
Dafür hatte SED-Chef Walter Ulbricht seit März 1961 die Zustimmung Moskaus. In einer Rede am 21. April hat er dies unverblümt angekündigt.
Etwa zeitgleich mit der Eröffnungsveranstaltung in Sachsenhausen am 23. April 2961 liefen die Vorbereitungen des Mauerbaus an. So bekam die Einrichtung der Gedenkstätte Sachsenhausen die Rolle einer vorbereitenden Begründung für die Mauer. Deren Bau verzögerte sich bis zum 13. August 1961, da vorher noch zu einem gesamtdeutschen evangelischen Kirchentag nach West-Berlin eingeladen worden war.
Die DDR verhinderte den Kirchentag nicht. Sie sperrte weder die Zufahrtswege noch schränkte sie den innerstädtischen Verkehr in Berlin ein. Das war politisches Kalkül. Schließlich wusste man, dass sonst weite Teile der evangelischen Kirche verprellt würden. So hat dann auch Ulbricht in seiner Ansprache in Sachsenhausen nicht nur den kommunistischen Widerstand, sondern auch andere anti-faschistische Kreise gewürdigt. Insbesondere nannte er die Sozialdemokraten, die Bürgerlichen und Menschen der verschiedensten Welt-Anschauungen, die gemeinsam den Kampf gegen das Hitler-Regime geführt hatten.
Den Kirchenvertretern, die an der Eröffnungsveranstaltung der Gedenkstätte teilnahmen, war jedoch die grundsätzliche Haltung der SED gegenüber der Kirche und der Religion bewusst. Danach waren sie nicht nur weltanschauliche Gegner, sondern meist auch politische Feinde, die gute Kontakte zu den führenden politischen Kräften in der Bundesrepublik hatten.
Doch trotz dieser staatlichen Einstellung zu den Kirchen lebten deren Vertreter in der Glaubensgewissheit, dass die Zukunft der Kirche nicht von Parteiabsichten, sondern vom Willen Gottes abhängig sei.
Die Teilnahme zahlreicher Vertreter der evangelischen Kirche entsprang nicht politischer Taktik. Bestimmendes Element war vielmehr die tiefempfundene Ablehnung des menschenverachtenden Nazi-Systems.
Hier spielten die Erfahrungen des Kirchen-Kampfes gegen die Nazis im Dritten Reich eine Rolle. Aber auch die Erkenntnis, nicht rechtzeitig genug gegen die Nationalsozialisten vorgegangen zu sein. Die schrecklichen Erfahrungen des Nazi-Terrors waren noch präsent, als zuerst Kommunisten, dann Sozialdemokraten und schließlich Christen verfolgt und ermordet worden waren.
In den Konzentrationslagern dieses furchtbaren Regimes hatten sie begriffen, dass ihre Differenzen unwesentlich waren, angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen, die sie erleiden mussten. Einige spätere SED-Funktionäre und kirchliche Repräsentanten hatten diese verbindende ganz persönliche Erfahrung gemacht!
Obwohl 1961 die Sorge vor einer politischen Instrumentalisierung des Opfergedenkens in Sachsenhausen bei den Kirchenvertretern groß war, überwog doch die Erinnerung an die gemeinsam erlittenen Qualen bei der Abwägung, an der SED-Veranstaltung teilzunehmen.
Auch hatten die teilnehmenden Kirchenleute noch die Hoffnung, die drohende Absperrung der DDR zu verhindern und einen evangelischen Kirchentag zu ermöglichen. Man wollte die politische Lage entspannen. Der ausschlaggebende Grund aber war: das klare Bekenntnis zum Antifaschismus.
Zehn Jahre später waren bei einer entsprechenden Feierstunde hier die evangelischen Kirchen offiziell in Sachsenhausen vertreten und hatten nun weniger Sorge vor einem politischen Missbrauch ihrer Anwesenheit. Sie waren zu der Überzeugung gelangt, dass die ehemaligen Konzentrationslager unverzichtbare Orte des Erinnerns für Häftlinge, ihre Angehörigen und die gesamte Nachwelt seien.
Das gilt noch heute: Tod, Angst und Qualen tausender Menschen in den KZs des Nazi-Regimes dürfen nicht vergessen werden. Und die Erinnerung entfaltet an authentischen Orten eine besondere Kraft. Steine, Gebäude und Schauplätze sind beredte Zeugnisse der schrecklichen Terror- und Diktaturgeschichte in Deutschland. Die Worte des Präsidenten des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Pierre Gouffault, sind ein eindringliches Vermächtnis:
„Die letzten Augenzeugen bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzusetzen.“
Das Gedenken an die Schreckens-Taten der Nazis an einem solchen Erinnerungs-Ort verleiht den Opfern der Überlebenden große Bedeutung und würdigt ihr unermessliches Leid. Zugleich geht von solchen Orten die unabdingbare Verpflichtung aus, stets für Menschenwürde und Menschenrechte zu kämpfen und allen neonazistischen Anfängen entschlossen zu wehren.
So blieb und bleibt der Kerngedanke der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen trotz ihres politischen Missbrauchs während des Kalten Krieges erhalten.
Dank der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen und ihrer aktiven Aufklärungsarbeit wissen wir UND die nachfolgenden Generationen:
Weltweit für Menschenrechte, Toleranz und Freiheit einzutreten, ist eine Frage der Menschlichkeit oder Menschenwürde!
Station Z wurde der Teil des KZ Sachsenhausen zynisch von der SS genannt, in dem sich die Krematorien befanden. Solche Orte darf es nie wieder geben.