Würdigung von Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ansprache zum 75 Geburtstag von Ministerpräsident a.D. Dr. Manfred Stolpe
am 16. Mai 2011 in Potsdam
„Unverzagt und frohgemut“ – so hat Gerhard Schröder gerade den Jubilar gekennzeichnet. Daran knüpfe ich gern an: „Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich schauen lassen.“ So dichtet Paul Gerhardt – und es passt genau auf Manfred Stolpe.
Sehr herzliche Glückwünsche, lieber Manfred Stolpe, zu diesem wichtigen Geburtstag. Dafür, dass ich diese Glückwünsche öffentlich aussprechen darf, bin ich sehr dankbar.
Im August 1976, am Tage nach der Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz, haben wir uns persönlich kennen gelernt. Das waren dramatische Tage in der Nähe von Genf. Auf der einen Seite war Stolpe ganz konzentriert auf den Rat, den er aus der Ferne den kirchlich Verantwortlichen dazu gab, wie die Kirche auf die Selbsttötung des evangelischen Pfarrers Brüsewitz reagieren soll. Auf der anderen Seite nahm er mit ungeteilter Aufmerksamkeit an den Überlegungen Anteil, wie der Gedanke der Menschenrechte, der in der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Eingang gefunden hatte, im Osten Deutschlands und Europas genauso verbreitet werden könne wir im Westen. Das eine war ihm so wichtig wie das andere.
Das war 1976, Die verlässliche Verbundenheit über 35 Jahre bewegt mich an diesem Tag; und ich bin froh darüber, dafür öffentlich Dank sagen zu können. Doch an diesem Ort ist etwas anderes noch wichtiger. Denn meine Aufgabe ist es heute, etwas zu Manfred Stolpes Wirken in der evangelischen Kirche und für diese Kirche zu sagen. Es gibt ein Leben von Manfred Stolpe vor der Politik und über sie hinaus. Freilich trägt auch diese Leben einen durchaus politischen Charakter. Drei Jahrzehnt, nämlich von 1959 bis 1989, stand er im unmittelbaren Dienst der Evangelischen Kirche. Vor Zehn Jahren, beim 65. Geburtstag, habe ich es für einigermaßen kühn erklärt, sich vorzustellen, dass er als Ministerpräsident eine vergleichbar lange Amtszeit erreichen werde. Dass er schon 2002 das Amt des Ministerpräsidenten an Matthias Platzeck weitergeben würde, habe ich damals natürlich nicht geahnt – und auch nicht, dass er noch im selben Jahr Bundesminister im Kabinett von Gerhard Schröder würde.
Heute stellen wir mit großer Dankbarkeit fest: Manfred Stolpe ist auch danach eine wichtige öffentliche Person in unserem Land geblieben, ein verlässlicher Ratgeber und Brückenbauer, ein Anreger und Mahner. er hat auch in den anderthalb Jahrzehnten, die ganz durch politische Ämter bestimmt waren, die Verbindung zu kirchlichen Aufgaben aufrecht erhalten. und ich freue mich darüber, dass er gegenwärtig solche Aufgaben mit verstärkter Intensität wahrnehmen kann. Für zwei derartige Zusammenhänge kann ich in persönlicher Verantwortung sprechen: Für das Domkapitel des Domstifts Brandenburg gratuliere ich heute dem aktiven und hilfreichen Domherrn. Und für das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche Potsdam sage ich dem Kurator von Herzen Dank und füge hinzu: Wir brauchen Sie auch weiterhin; die Wiedererrichtung der Garnisonkirche hier in Potsdam wird nicht nur eine Lücke im Stadtbild schließen, sondern sie wird ein Stück DDR-Unrecht wieder gut machen. Sie wird nicht nur zum kritischen Umgang mit der Geschichte anleiten, sie kann auch Glaubensmut und Dialogbereitschaft fördern.
1959, also mit 23 Jahren, hat Manfred Stolpe seine Tätigkeit für die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg begonnen. In dieser Zeit hatte die SED die ersten Angriffe auf die evangelische Kirche und ihre Eigenständigkeit schon unternommen. Der Religionsunterricht war aus den Schulen verbannt worden. Engagierte aus den Jungen Gemeinden hatten schon Erfahrungen im Gefängnis hinter sich. Wer sich als Jugendlicher zur Kirche hielt, musste schon damals mit erheblichen Nachteilen in Schule, Ausbildung und Beruf rechnen. Die Protagonisten der SED waren davon überzeugt, dass der christliche Glaube unter kommunistischer Herrschaft innerhalb einer Generation verschwinden werde; und sie taten das Ihre dazu, dass es so kommen sollte.
Wer in einer solchen Situation als Jurist in den kirchlichen Dienst ging, wählte nicht den einfachen Weg. Wer ihn trotzdem ging, dem lag daran, der Kirche trotz allen Gegenwinds einen eigenständigen Ort zu erhalten. Das dies gelungen ist, betrachte ich als den wichtigsten Erfolg derer, die in der DDR-Zeit kirchliche Verantwortung trugen, allen voran Manfred Stolpe. Nur weil die Kirchen in der Zeit der DDR ein beachtliches Maß an Eigenständigkeit bewahrten und unter ihrem Dach kritischen Gruppen Raum gaben, konnten sie ihren Beitrag zum Ende der SED-Herrschaft und zur Einheit in Freiheit leisten.
Zu dieser Rolle gerade der evangelischen Kirche hat Manfred Stolpe maßgeblich beigetragen. Dazu halfen ihm Eigenschaften, die 1961, in der ersten dienstlichen Beurteilung des damals Fünfundzwanzig jährigen folgendermaßen eingeschätzt wurden: „Nach unseren Beobachtungen fühlt sich Herr Stolpe seiner Evangelischen Kirche innerlich verbunden. Mit seinem bescheidenen, stets taktvollen Auftreten verbindet sich eine ständige Arbeitsbereitschaft, die ihn auch größere, umfangreiche Arbeitsaufgaben pünktlich und zuverlässig erledigen hilft.“ besonders hervorgehoben wurde aber seine Fähigkeit, “ auch schwierige Verhandlungen in ruhiger, bestimmter Weise zu führen.“
Schon seit 1963 war er für die „Ostkirchenkonferenz“ verantwortlich, die sich nach dem Bau der Mauer bilden musste. Aus ihr entstand der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, dessen Sekretariat er von 1969 an dreizehn Jahre lang leitete. Von hier aus bereitet er das legendäre Gespräch zwischen Staat und Kirche vor, das am 6. März 1978 stattfand. Mit diesem Gespräch anerkannte der SED-Staat, dass aus dem Absterben der Religion in einer Generation nichts geworden war – wie stark auch immer die Kirchenmitgliedschaft zurück gegangen und der christliche Glaube aus der Öffentlichkeit verdrängt worden war. Manfred Stolpe behielt die Gesamtsituation der evangelischen Kirchen in der DDR auch in den folgenden Jahren im Blick, in denen er seit 1982 die Kirchenverwaltungen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg als Konsistorialpräsident leitete.
In all diesen Phasen hat man sich auf seine schon 1961 anerkannte Fähigkeit verlassen, „schwierige Verhandlungen in ruhiger, bestimmter Art zuführen“. Wenn es heikel wurde, hieß es nun: „Das lassen wir Bruder Stolpe machen“. Ob es um Ausreisewillige ging, die sich an die Kirche wandten, oder um Angehörige kritischer Gruppen, die auf staatliche Repression stießen – sehr oft war es Stolpes Aufgabe, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Dabei muss man bedenken: gerade er hatte sich dafür eingesetzt, dass Bürger der DDR die Schlussakte von Helsinki von 1975 kenne und etwas über Reise- und Meinungsfreiheit als Menschenrechte wissen konnten. Aber er sah es zugleich als seine Aufgabe an, Menschen vor persönlichen Risiken zu bewahren und sie aus gefährlichen Sackgassen zu befreien. Man brauchte damals Bürgerrechtler, für deren Mut wir auch heute gar nicht dankbar genug sein können. Aber man brauchte auch einen, der die Leute aus dem Knast holte. Und auch ihm kann man nicht dankbar genug sein. Der eine war nämlich genauso notwendig wie die anderen.
Wie Manfred Stolpe das tat, wollten manche der damals Verantwortlichen nicht allzu genau wissen. Rückfragen hätten sie nicht gestellt, bekennen manche von ihnen bis zum heutigen Tag freimütig. Manfred Stolpe blieb – wie später auch – mit seiner Verantwortung so manches Mal allein. Genau deshalb zolle ich ihn meinen großen und uneingeschränkten Respekt und sage ohne Wenn und Aber: Was er tat, das tat er als Mann der Kirche. Ich danke ihm für seinen kirchlichen Dienst, der, wie wir heute deutlich sehen, zugleich ein Dienst an unserem Land im Ganzen war und bleibt.
Herzliche Segenswünsche Ihnen, Ihrer Frau und Ihrer Familie für die Zeit, die kommt. Wir bleiben zusammen auf dem Weg