Zum Tode von Christa Wolf

Lieber Gerhard Wolf,
liebe Familie Wolf,

zum Tod unserer großen Schriftstellerin Christa Wolf spreche ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid aus.

Die überraschende Nachricht trifft mich sehr. Nun wird sie nicht mehr deutsche Verhältnisse in die Weltliteratur einbringen. Christa Wolf hat Nazideutschland, geteiltes und wiedervereintes Deutschland miterlebt ohne ausweichen zu können und zu wollen. Wie viele andere hierzulande spüre ich bei ihr den Puls meines eigenen Lebens. Seit ich den „geteilten Himmel“ las, bin ich ihr absoluter Fan geworden und geblieben.

Sie hat die Entwicklung in der DDR mit wachsender Skepsis erlebt und doch die Trennung vermieden. Dies wäre ihr mit einem Parteiaustritt in den siebziger Jahren oder einer frühen Veröffentlichung von „Was bleibt“ sehr leicht gemacht worden. Sie blieb bei uns, machte Mut und lässt uns in ihren Werken die Mitbetroffenheit an den Zuständen erfahren. Ihre Hoffnung auf eine bessere DDR hat sie vor einer Million Menschen am 4. November 1989 in Berlin ausgerufen und wurde doch vom Einheitsjubel überrannt. Ihre Skepsis gegenüber Märkten und Medien wurde bald bestätigt!

Christa Wolf wurde übel verleumdet, wohl auch um Ostkonkurrenz hässlich zu machen. Vorher bejubelt, als man sie als Dissidentin brauchte. Dann geschmäht, als sie der Schwarzbildmalerei der Vergangenheitsbewältigung im Wege stand. Sie hat darunter sehr gelitten. Ich hatte Hemmungen, mich deutlicher zu ihr zu stellen. Denn ich vermutete, dass meine öffentliche Unterstützung ihr neue Angriffe bringen würde.
Umso dankbarer bin ich für jede Begegnung mit ihr, ihren Widmungen in ihren Büchern, wenn sie mir zum Beispiel „Glück, Gelassenheit und weiter gute Nerven“ wünschte.

Christa Wolf bleibt bei Ihnen und sehr, sehr vielen Menschen weltweit. Bei mir überwiegt die Dankbarkeit, dass wir diese großartige Frau und nobelpreiswürdige Schriftstellerin haben durften.

Manfred Stolpe

1 Kommentar
  1. Ulrich schunder sagte:

    Lieber Genosse Stolpe,
    ich bin wie du in Trauer um die große Künstlerin und deine wohlgesetzten Worte rühren mich sehr. Hoffentlich bleibst du weiterhin so präsent in Deutschland!
    Gruß aus der Uckermark!

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