Das Hotel soll aus ideologischen Gründen weg
Manfred Stolpe (SPD), Ministerpräsident a.D., warnt im PNN-Interview Potsdams Stadtspitze davor, das Mercure-Hochhaus „vorschnell“ abzureißen. Und empfiehlt dem Betreiber des Hotels, Schadensersatzklage gegen die Landeshauptstadt einzureichen.
Herr Stolpe, Sie wollen, dass das Hotel Mercure in Potsdams Mitte stehen bleibt?
Ich will, dass es nicht vorschnell abgerissen wird. Ich habe den Eindruck, dass es jetzt aus ideologischen und ästhetischen Gründen weg soll. Wie der Bedarf ist, was das für Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im Hotel und auf die vielen Menschen in Potsdam hat, denen das Mercure eine gute Erinnerung ist, darauf wird zu wenig geachtet.
Das Hotel darf erst fallen, wenn es nicht mehr gebraucht wird?
So würde ich das nicht sagen, man kann über alles reden. Aber die Diskussion, die ich jetzt beobachte, ist meiner Einschätzung nach nicht getragen von ökonomischen Überlegungen auch darüber, was die Stadt sich leisten kann – und was nicht. Es geht wohl einfach darum, dass da ein Betonklotz im Wege steht, unter dem das Panorama, die Silhouette der Stadt leidet. Wir hatten so eine ähnliche ästhetisch-ideologische Diskussion schon vor etwa 20 Jahren. Es ging darum, die Hochhäuser am Wall am Kiez wegzunehmen, weil sie den Blick auf Sanssouci versperren. Das ist schnell begraben worden, weil es kein Ersatz für die Wohnungen gab – und weil diese Wohnblocks eine wunderbare Wohnkultur und hervorragende Aussicht haben.
Ist es denn nicht klug von Potsdams Stadtspitze, eine städtebauliche Veränderung wie den Abriss des Hotels Mercure von langer Hand zu planen? Denn selbst wenn die Stadtverordneten am 27. Januar die neuen Sanierungsziele beschließen, würde es wohl noch Jahre dauern, bis die Stadt das Hotel kaufen und abreißen könnte.
Das ist sicher richtig. Ich gehe auch davon aus, dass es im wirklichen Leben ein bisschen anders kommen würde, als es beschlossen wird. Doch an den Auswirkungen auf die Stimmungslage in der Stadt und die Menschen, die im Hotel ihren Arbeitsplatz haben, ändert das wenig.
Sie haben dem Hotelbetreiber empfohlen, Schadensersatzklage gegen die Stadt zu stellen. Das ist eine deutliche Kampfansage an Oberbürgermeister Jann Jakobs.
Es ist keineswegs eine Ausnahme, wenn man darüber nachdenkt, wo ein Schaden entstanden ist und wie man ihn ausgleichen kann. Derzeit gibt es im Mercure eine Betroffenheit der Mitarbeiter und eine Verunsicherung bei Kunden und Gästen. Ob ein konkreter Schaden entstanden ist, müsste erfasst werden. Bei einer Fortsetzung dieser Debatte und wenn der Beschluss zustande kommt, wie er geplant ist, wird das jedoch ausgesprochen geschäftsschädigend sein und das Haus wird eine Einbuße an Einnahmen haben. Das lässt sich dann in Zahlen ausdrücken.
Sie schlagen eine Bürgerumfrage zum Hotel Mercure vor. Worüber genau sollen die Potsdamer da entscheiden oder abstimmen?
Ich schlage das nicht vor, sondern ich gehe von der Stimmungslage aus, die ich erfahre. Es sind nicht nur einzelne Personen, es gibt eine weit verbreitete Besorgnis in der Stadt. Es hat mich sehr überrascht, wie oft ich nach meiner ersten öffentlichen Meinungsäußerung zum Mercure angesprochen und angerufen wurde, wie viele Briefe ich bekommen habe.
Doch worüber sollten die Leute entscheiden?
Die Frage, die die Leute bewegt, ist: Muss das Hotel Mercure jetzt verschwinden? Dieser Eindruck wird ja erweckt, auch wenn es realistisch betrachtet alles noch eine Zeit dauern würde. Aber bei den Menschen hier kommt an: Das Hotel soll jetzt abgerissen werden. Und für viele heißt das: Da soll ein Stück Erinnerung, ein Stück angenehme Erinnerung, beseitigt werden.
Eine Bürgerumfrage zum Mercure – müsste es dann nicht auch eine Umfrage zum umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche geben?
Ja, man kann über das ganze Stadtbild abstimmen.
Sie wären dafür offen?
Ich bin der Meinung – wie ich es auch vom Oberbürgermeister gehört habe –, dass es um die Gestaltung der Innenstadt geht. Sich einen Punkt herauszugreifen, ist da eher gewagt. Es ist ja ein Gesprächsprozess im Gange, bei dem auch herausgefunden werden soll, ob und wie eine Bürgerbefragung erfolgt. Ich hoffe, nicht missverstanden zu werden: Ich sage, wenn man einen schnellen Abriss des Hotels Mercure forciert, dann muss man damit rechnen, dass die Menschen eine Befragung haben wollen.
Sie haben gemahnt, dass die Potsdamer bei ihren Mercure-Plänen die Lage im Land nicht ausblenden dürfen. Warum und worauf müssen die Potsdamer Rücksicht nehmen?
Ich bin viel im Land unterwegs und ich erlebe, dass Potsdam für viele ein wichtiger Bezugsort ist. Viele sind stolz darauf, dass sie so eine Landeshauptstadt haben. Aber manche fragen sich auch immer wieder: Was haben die Potsdamer eigentlich für Sorgen? Wissen die Potsdamer, wie es uns in Guben oder in Wittenberge, in Gartz an der Oder oder in Herzberg geht, was wir für Themen haben? Sind die Potsdamer sich darüber im Klaren, dass sie die Landeshauptstadt sind und mitdenken müssen, einen Blick für die Sorgen haben müssen, die man anderenorts hat? Ich habe die Hoffnung, dass Oberbürgermeister Jakobs, der ja Präsident des brandenburgischen Städtebundes ist, dazu beiträgt, dass dieses Erinnern an die Mitverantwortung, an das Mitdenken, zum Zuge kommt.
Auf das Hotel Mercure bezogen heißt das, Potsdam soll sich in Bescheidenheit üben?
Ja. Weil das ja alles Geld kostet. Ich kenne die Zahlen im Einzelnen nicht, aber was da jetzt hervorguckt, ist nicht wenig: der Abriss, eine Veräußerung von Grundstücken, um den Kauf zu bezahlen, und dann die Hoffnung auf Fördermittel von Land und Bund. Letzteres ist ein sehr neuralgischer Punkt. Die Menschen im Land hätten sicher keine Probleme damit, wenn endlich ein dritter Havelübergang angepackt würde. Aber mit solchen Vorhaben, die als Luxus und als abgehoben gelten, hätten sicher viele Schwierigkeiten.
Herr Stolpe, Ihre Stimme hat im Land und in der Stadt großes Gewicht. Was erwarten Sie, was wird jetzt geschehen in Sachen Hotel Mercure?
Ich bin um meine Meinung gefragt worden, und ich sage meine Meinung. Ich will damit keinen direkten oder indirekten Einfluss nehmen. Die Verantwortung tragen die Frauen und Männer, die hier in Potsdam gewählt worden sind. Für sie ist sicher nicht uninteressant, wenn Meinungen geäußert werden und dass nicht nur weggeduckt oder abgewartet wird.
Das Interview führte Sabine Schicketanz.