Manfred Stolpe kann kaum noch sprechen
von: Tomas Kittan – B.Z. Berlin
Seit zwei Jahren kämpft Brandenburgs Ex-Ministerpräsident (1990-2002) um den Rest seiner Selbstständigkeit. Manfred Stolpe (82, SPD) hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, kann kaum laufen, sprechen. Doch zu sagen hat der einstige Kirchenmann der DDR, dessen Markenzeichen seine markante Stimme war, immer noch sehr viel.
Von 2002 bis 2005 war er Verkehrsminister – und erkrankte schon 2004 an Darm-, später auch Leberkrebs. Seither wird Stolpe, der mit seiner Frau Ingrid (80) in einer Seniorenresidenz in Potsdam lebt, ständig von Ärzten betreut. Das Gespräch mit ihm konnte BILD nur per E-Mail und SMS führen.
BILD: Wie geht es Ihnen?
Manfred Stolpe: „Meine
Stimmung ist gut. Meine Stimme aber ist schlecht. Ich kann problemlos
‚ja‘ oder ‚nein‘ sagen. Das reicht nicht. Deshalb benutze ich ein
Sprachgerät und antworte schriftlich. Meine Mobilität ist stark
eingeschränkt. Ich bin in ärztlicher Behandlung und nehme viele Termine
wahr. Das ist mir wichtig.“
Und wie geht es Ihrer Frau?
Stolpe: „Meine Frau Ingrid ist meine Sprecherin, meine Ärztin und zunehmend meine Pflegerin. Ohne sie könnte ich nicht mehr in der Wohnung leben.“
Fühlen Sie sich in Ihrer Seniorenresidenz wohl?
Stolpe:
„Zum Glück sind wir vor sechs Jahren, als meine Krankheit sich zeigte,
in eine altersgerechte Wohnung umgezogen. Viele Hilfsmöglichkeiten sind
hier vorhanden, zum Beispiel Heilbehandlungen. Die Betreuung hier bei
den Johannitern ist bestens. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Was hat sich im Alltag des Manfred Stolpe in der letzten Zeit verändert?
Stolpe: „Wenn meine Behandlungstermine Zeit lassen, mache ich am Vormittag Texte, Interviews. Mittagessen bereitet meine Frau in der Wohnung vor. Dann kommt eine kurze Mittagsruhe und je nach Wetterlage genieße ich auf dem Balkon am Havelufer die wunderbare frische Luft und den schönen Blick über das Wasser. Kleine Spaziergänge sind schon recht beschwerlich. Mit dem E-Rollstuhl muss ich mich noch anfreunden. Ab dem gemeinsamen Kaffeetrinken beginnt dann der Familienfeierabend und das leichte Abendessen.“
Haben Sie eine Patientenverfügung und ein Testament?
Stolpe: „Eine Patientenverfügung habe ich, um den behandelnden Ärzten die Freiheit zu geben, eine hoffnungslose Lebensverlängerung abzubrechen. Das soll ein langes, bewusstloses Sterben vermeiden. Der Tod kommt auf jeden Menschen zu. Ein Testament habe ich verfügt.“
Gibt es für Sie auch schöne Seiten des Alters?
Stolpe: „Die Erinnerung und die Beobachtung des Umfeldes und der Welt können viele freundliche Seiten aufzeigen. Leider neigen die Medien dazu, Schreckensmeldungen in den Mittelpunkt zu stellen. Nur nebenbei wird berichtet, dass zum Beispiel die Hilfsbereitschaft zunimmt und die schwere Kriminalität gegen Leib und Leben zurückgeht.“
2019 ist ein wichtiges Wahljahr. Umfragen sehen die AfD und SPD in Brandenburg gleichauf. Es droht ein Sieg der Rechtspopulisten! Befürchten Sie das auch?
Stolpe:
„Die politische Lage ist vielfältiger geworden. Auch in Brandenburg
gibt es nicht mehr automatisch eine mit Abstand starke SPD. Vier
Parteien liegen laut Umfragen nahe beieinander. Niemand wird allein
regieren können. Eine Koalition von demokratischen, nicht extremen
Positionen ist wahrscheinlich. Ich bin zuversichtlich, dass die SPD als
Sieger bei der Landtagswahl am 1. September durchs Ziel gehen und die
nächste Regierung anführen wird, denn Dietmar Woidke macht eine gute
Arbeit.“
Der politische Stern von AfD-Chef Alexander
Gauland ging bei der letzten Landtagswahl 2014 auf. Wie bewerten Sie
seine Entwicklung?
Stolpe: „Alexander
Gauland war in den 1990er Jahren Chef der Staatskanzlei in Hessen.
Seitdem kenne ich ihn. Er interessierte sich für den Osten und konnte
zuhören. Später wurde er bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung leitend
tätig. Auch da hatten wir Kontakt. Weshalb er sich von der CDU getrennt
hat, weiß ich nicht. Seine neuen Parteifreunde sind zum Teil extreme
Rechtspopulisten. Ich beobachte seinen Weg.“
In Cottbus,
wo Sie mehrfach als Direktkandidat für die SPD antraten und gewannen,
hatte bei der letzten Bundestagswahl 2017 die AfD extrem viele Stimmen.
Wie rechts ist die Lausitzer Stadt heute? Welche Fehler wurden dort
gemacht?
Stolpe: „Die unterschiedliche Entwicklung im Osten Deutschlands muss stärker beobachtet werden. Es reicht nicht, sich über die schönen Erfolgsgeschichten wie im Berliner Umland oder in Jena und Leipzig zu freuen. Einige Regionen Ostdeutschlands fühlen sich vergessen. Dabei geht es auch um die Anerkennung der Lebensleistungen der Menschen, um Lohn- und Rentengerechtigkeit. Cottbus war in der DDR ein Vorzeigestandort: Energiezentrum, Industrie, viele Arbeitsplätze. Jetzt sind Industriestandorte weggebrochen und das Ende der Kohle soll schrittweise kommen. Eine ungewisse Zukunft erwartet viele Menschen. Einige laufen Populisten nach – teils aus Protest, teils aus Überzeugung. Das macht mir Sorgen. Die Politik muss diese Menschen erreichen, denn das Wahlkreuz bei den Populisten hilft niemandem. Im Gegenteil: Es schadet Brandenburg.“