Kirchbau in Marzahn als Vorbote kommender Freiheit
Die Kirche war für die SED-Diktatur der DDR ein Hauptfeind. Sie wurde bekämpft, ihre Arbeit insbesondere mit Jugendlichen eingeschränkt und nicht selten verboten. Kirche und Religion galten als „Relikte der Vergangenheit“, die eine „sozialistische Persönlichkeitsentwicklung“ verhinderten, den „gesellschaftlichen Fortschritt hemmten“, sich staatskritisch bis staatsfeindlich äußerten und mit dem „westlichen Klassenfeind“ kooperierten.
„Leider sind es noch so viele Christen, die durchaus nützliche Arbeit leisten und die Weltöffentlichkeit beobachtet uns, sonst würden wir sie viel härter angehen“, sagte mir in einem dramatischen Gespräch ein hoher Funktionär in Frankfurt/Oder. Das war böse, aber seine unverblümte Meinung. Absolut verhindern wollte die SED-Führung Kirchgebäude in Neubaugebieten, den sozialistischen Zukunftsstädten. Unerbittlich wurde das zum „Schutz“ der neu gebauten sozialistischen Stalinstadt, später Eisenhüttenstadt durchgesetzt. Über 30 Jahre lang konnte dort kirchlicher Dienst nur aus einem Wohnwagen betrieben werden. Die Stadtverwaltung und der zuständige Bezirk Frankfurt/Oder lehnten jeglichen Kirchbau ab und wussten sich in voller Übereinstimmung mit dem obersten SED-Chef Walter Ulbricht, der aus tiefster Überzeugung mehr Kirchen abreißen ließ als jeder andere kommunistische Diktator.
In der Erinnerung sind der Abbruch der Universitätskirche Leipzig als Ort der evangelischen Studentengemeinde und der Garnisonkirche Potsdam, an der Ulbricht auch noch seinen fast pathologischen Preußenhass ausließ. Doch die Welt veränderte sich. Willy Brandt, Walter Scheel und Egon Bahr setzten auf Wandel durch Annäherung und der Osten brauchte den Westen. Der Betonkopf Walter Ulbricht wurde abgesetzt. Sicherheit, Zusammenarbeit und Menschenrechte konnten auf europäischer Ebene 1975 in Helsinki vereinbart werden. Bischof Albrecht Schönherr gelang es 1978 mit dem neuen SED-Chef Erich Honecker Kirchbauten in sozialistischen Neustädten genehmigt zu bekommen. Das Angebot, einen Teil der Baukosten in Westgeld zu bezahlen, hat die staatliche Zustimmung erleichtert. Selbst in Eisenhüttenstadt konnten 1982 ein kirchliches Zentrum errichtet werden.
Doch, dass die SED letztlich doch an ihrer kirchenfeindlichen Haltung festhielt, zeigte sich am Ringen um einen Kirchbau in dem großen Neubaugebiet Berlin-Marzahn. In zähen Verhandlungen gelang es Generalsuperintendent Günter Krusche unter Hinweis auf den Verlust der Versöhnungskirche, in Mauer-Grenzgebiet Bernauer Straße am südlichen Rand von Marzahn eine neue Versöhnungskirche genehmigt zu bekommen. Doch der Kern des Neubaugebietes Berlin-Marzahn blieb weiter kirchenfrei“. Für die neu gesammelte Gemeinde im Neubaugebiet Marzahn gab es keine Räume. Nur die am Rand gelegene kleine Kirche im alten Dorf Marzahn konnte genutzt werden. Im Neubaugebiet Marzahn blieb der härteste Widerstand der kommunistischen Ideologen und Machthaber gegen einen Kirchbau. Aber die nicht nachlassenden westlichen Proteste gegen die Sprengung der Versöhnungskirche an der Mauer sowie die Sorge der SED, die evangelische Kirchenleitung könnte sich öffentlich dem Protest anschließen und schließlich die gesellschaftskritischen Stimmen aus kirchlichen Gruppen ließen die Parteispitze einlenken.
Die Zustimmung der SED-Führung zum Kirchbau in Marzahn-Nord empfand ich als deren Kapitulation und Signal kommender Veränderung. Die Einweihung dieser Kirche durch Bischof Gottfried Forck erfolgte schließlich im März des Revolutionsjahres 1989. Das Gemeindezentrum Berlin-Marzahn-Nord ist vom Standort, in seiner Architektur und seiner Funktionalität besonders gelungen. Die Gestaltung erfolgte in enger Zusammenarbeit des kirchlichen Bauamtes Berlin-Brandenburg und der Gemeinde nach deren Erfahrungen und Erfordernissen. Ein Bauteil beherbergt die Mitarbeiterwohnung, ein anderer Bauteil umfasst den gottesdienstlichen Raum mit den dazugehörigen Gemeinde- und Arbeitsräumen einschließlich einer kleinen Kapelle, die für besondere Veranstaltungen vorgesehen ist. Dem Baukörper selbst liegt die Gestaltungsidee eines großen Zeltes für die Gemeinde zugrunde. Der gesamte Baukörper wird mit einem schieferähnlich gedeckten Zeltdach überspannt. Die
Dachform ist vom Innenraum erlebbar und gibt ihm sein Gepräge.
Ich bin dankbar, dass das damals gelungen ist, in einem Stadtteil, in dem die Kirche keine Zukunft haben sollte, das Gemeindezentrum Marzahn-Nord als Vorboten künftiger Freiheit zu errichten. Ich bin glücklich zu erleben, wie diese Gemeinde lebt und die vielseitigen Möglichkeiten ihres Zentrums nutzt. Ich freue mich, wie sich Pfarrer, Helfer und Hüter für dieses Gotteshaus einbringen.